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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz
Autoren: Ake Edwardson
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später verschwanden die Menschen aus seiner Nähe. Was für ein schrecklicher Gedanke. Was sollte er jetzt machen? Seit ihrem Verschwinden war er rastloser denn je. Persönliches Engagement war gut, aber Wide konnte im Augenblick nicht mehr nach ihr suchen, und irgendetwas musste er tun gegen sein Fieber.
    Thisenius. Göteborger Telefonbuch: Fehlanzeige. Die Familie hatte sich zerstreut. Was hatte Sjögren gesagt? Sie hatte sich getrennt, der Vater hatte Gunnar in eine andere Stadt mitgenommen. Jönköping? Sjögren hatte Jönköping genannt. Hundertvierzig Kilometer in westlicher Richtung.
    Wide schlug den Buchstaben T auf, fuhr mit dem Finger an den Zeilen entlang, wiederholte den Vorgang und sah es: Thisenius, der einzige Anschluss unter dem Namen. Er schrieb die Nummer in sein Notizbuch und überprüfte die anderen Telefonbücher von Südschweden. Nichts.
     
    Sten Ard konnte nichts erklären, weil es nicht zu erklären war. Das erwartete auch niemand in diesem Haus in Björkekärr, wo die Adventskerzen vor den Fenstern standen und er den Duft nach Pfefferkuchen wahrnahm, sobald er die Diele betrat.
    »Seit Kajsa verschwunden ist, habe ich nichts anderes getan – ich habe gebacken«, sagte die Frau ihm gegenüber. Sie versuchte gar nicht, ihre Tränen zu verbergen. »Vielleicht klingt das furchtbar, aber es hilft einem, dass die Zeit vergeht.«
    Dass die Zeit vergeht. Ein schwerer Stein, den man rollen muss, dachte Ard und betrachtete den Mann neben der Frau: Er hätte eine Schablone von dem Bild des verbissenen Mannes sein können, der die Traurigkeit in sich einsperrt und nach außen herb und still ist, aber dieser Mann kümmerte sich nicht um die Fassade.
    »Heute Morgen hab ich Kinderbilder von Kajsa hervorgeholt, der reine Wahnsinn, dass ich das getan habe«, sagte er.
    »Warum?«
    Er machte eine Handbewegung, ziellos.
    »Das ist ja – als wäre sie für immer gegangen.«
    Was sollte er sagen? Dass sie vielleicht tatsächlich von dem ganzen Mist abgehauen war, zur Sonne, zum Nachdenken? Nein, das sah Kajsa Lagergren nicht ähnlich.
    Sie war irgendjemandem in die Quere geraten, aber das konnte er nicht formulieren.
    »Ist so was schon mal passiert? Dass ein Polizist – verschwunden ist?«
    Die Frau schaute zur Seite. Sie war Ards Blick ausgewichen, seit er sich in ihrer Wohnung aufhielt.
    »Noch nie.«
    »Es ist also das erste Mal.«
    »Es wird alles wieder gut, da bin ich ganz sicher.«
    »Wie lange hält man das durch, sicher sein?«
    Das war der Mann, der Vater; er wich Ards Blick nicht aus, sondern hielt ihn fest.
    So war es: Wie lange hielt man es durch, sicher zu sein, dass es ein glückliches Ende nehmen würde?
    Als Ards Schwager an einem stürmischen Vorfrühlingsabend auf Heden das Auto gestohlen wurde, hatte es dreißig Tage gedauert, ehe die Versicherung den Wert eines neuen Fahrzeugs festgesetzt hatte. Der Schwager hatte gehofft, dass sein Auto vor Ende der Woche irgendwo am Stadtrand wiedergefunden würde, aber es war nie wieder aufgetaucht. Was für ein Vergleich, dachte Ard und schickte sich an zu gehen. Er hatte nicht danach gefragt, ob Kajsa Feinde hatte. Eine Polizistin? Die Polizei war der Schutz der Gesellschaft. Polizisten konnten keine Feinde haben.
     
    Schließlich war er bereit gewesen, ein Handgelenk und einen Fuß von dem Eisen am Boden zu befreien, so dass sie sich auf die Seite legen konnte. Wann hatte er diese Ringe in den Boden gehämmert? Hatte sich keiner der Nachbarn gewundert? Warum hatte niemand den Hausmeister angerufen. Den Hausmeister fragen, dachte sie in ihrem Fieber, als wäre sie in telepathischer Verbindung mit Sten Ard.
    Sie hatte an Sten Ard gedacht, an ihre Arbeit, war in ihre Gedanken hinein- und hinausgewandert, bis sich alles in einem Käfig verwirrte, der diese verdammte Gefängniswohnung war.
    Aaaaah, es wäre eine Befreiung für den Körper, wenn sie die Haltung ändern könnte, eine Weile Erholung von dieser Tortur.
    Sie war krank. Sie war bewusstlos geworden und wieder zu sich gekommen und wieder ohnmächtig geworden. Wie sie jetzt lag, das Gesicht zur Wand gekehrt, konnte sie die farblose Tapete im Halbdunkel und einen Sessel sehen, der wer weiß wo herstammen mochte, und einen leeren Couchtisch. Und das verdammte Fenster, das immer offen stand. Und sie hatte noch nie so hohes Fieber gehabt wie jetzt; ihre Haut fühlte sich wie Pappe an.
    Kajsa Lagergren hatte versucht, sich auf ihre Situation und auf eine Lösung zu konzentrieren, aber sie hatte
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