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Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Titel: Gegen Die Laufrichtung: Novelle
Autoren: Bodo Kirchhoff
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heraus, die anderen Gäste haben nichts bemerkt, ringsherum alles unberührt von dem Kampf, fast Stille, in der Ferne bloß ein startendes Flugzeug, bis zum Opernplatz dröhnt es. Halb gebückt steht der Kellner nun da, weiß im Gesicht, an der Lippe ein Bläschen; erst als er sich entschuldigt, läßt Jonas ihn los. Der Kellner geht, er geht wortlos, Jonas versteckt seine Hände, Christine findet sie, die Hände zittern, sie stürzen Christine in eine Art Machtrausch, wer, außer ihr, könnte ihn jetzt beruhigen, oder muß sie beruhigt werden? Jonas' Geschichte und dieses Packen des Kellners haben ihr angst gemacht, keine große, nur eine den Kreislauf und die Blase ein wenig belebende Angst, ihr Puls geht schnell, die Füße kribbeln, sie würde gern essen, würde gern küssen, ihr Rücken juckt, sie muß aufs Klo, Leider, sagt sie, muß ich noch einmal telefonieren, und springt auch schon auf, ihr Stuhl kippt zurück, Jonas kann ihn noch fangen, wie in Panik drängt sie sich an ihm vorbei, er spürt ihre Hüfte. Sag mir noch etwas, bittet er sie, und Christine legt den Mund an sein Ohr; Jonas hört einen Satz, am Ende sein Name, bevor er Christine, die Arme ein wenig erhoben, als könnte sie fliegen, wenn sie's nur wollte, ins Innere des Cafés laufen sieht.
     Dein Wort, das hat fünf Buchstaben, wie Jonas, sprach ihm Christine ins Ohr, und kaum hörbar spricht er es nach, es füllt seine Lungen, sein Herz; voller Sorge, Christine hätte sich in der spätsommerlichen Luft einfach verflüchtigt, sieht er noch immer zum Café, bis jemand Lendl sagt in seinem Rücken und er herumfährt. Zwei zu sechs, eins zu sechs. Jonas bedeckt das Gesicht mit den Händen, Melbourne, Januar 88, erste Runde, Lendl trug diese weiße Wüstenmütze mit dem flatternden Nackenschutz, schon da sah er aus wie der Tod, kam auf den Platz und mähte ihn weg. Jonas öffnet ein wenig die Finger: drei Männer sitzen da, streiten sich über Spieler und Spiele – die US-Open müßten gerade vorbei sein, das hat er noch im Gefühl, den feuchtheißen Spätsommer von New York, dieses Fest von Flushing Meadows. Auch wenn er in der Vorrunde ausschied, blieb er unter den Tennisnarren, mehr als die Agonie des Glücks nach Siegen sind ihm jene überdrehten Tage gegenwärtig. Er verlor eigentlich gern dort, ja, vielleicht lag ihm verlieren überhaupt mehr als siegen, siegen kann jeder und danach sich blöde bedanken. Über ihn sagten die Kommentatoren, besonders nach Doppelfehlern, wenigstens: Ein recht nachdenklicher Jonas steht jetzt da unten. Einer erfand so etwas, und die anderen sprachen es nach, im allgemeinen waren diese Leute ja dumm, dazu neidisch, Jonas mochte sie nicht, vor allem nicht, wenn sie schrieben; von hundert Kritikern besaßen doch höchstens zwei eine eigene Meinung, die anderen schrieben ab von Kollegen und warfen ihm noch vor, daß er den Stil von McEnroe kopiere, als ob man sich bewegen könnte, wie man will! Sie waren wirklich dumm, außerdem eitel, ohne Gespür dafür, daß sie es waren, schrieben aber gern, er sei eitel, nur weil er sich das Stirnband immer wieder sorgfältig knüpfte, was doch nichts weiter war als ein Sekundenschinden vor dem nächsten Ball, eine Atempause in der Unendlichkeit seiner Schwermut während eines nicht mehr zu rettenden Spiels. Aber davon ahnten Kritiker nichts oder verschwiegen es einfach, wie man eine Krankheit verschweigt, Jonas konnte diese Leute oft nur bedauern, er hatte mehr Geld als sie, er hatte mehr Frauen und mehr Haar, er spielte besser Tennis, daran gab es nun gar nichts zu rütteln, er war jünger und gesünder, durfte also länger leben, und sah auch noch sympathischer aus. Er war kein armes Schwein, er wußte nichts besser, er war besser, Schluß; er war es. Heute können sie ihn umpusten. In seinem Schlagarm, längst so dünn wie der andere, steckt keine Kraft mehr, geradezu lächerlich ist dieser Arm, den eine Hostess in Stockholm, Karen?, nach dem Achtelfinale, 3:6, 4:6 gegen Mecir, am liebsten verspeist hätte; und sein Haar ist grau und fällt aus, und locker liegt die Haut über den Wangen. Jonas schließt die Finger wieder, er möchte schlafen, damit Christine ihn wecke, aber es geht nicht, müde und doch wach sitzt er da, betrunken von nichts, während sie hinter ihm, oder ist das seitlich, über einen Wik-kert reden, der jetzt etwas Großes im Fernsehen sein muß, am Ende der Sendung, sagt eine Frau, schließe der immer so väterlich die Augen. Den kennt dann auch die
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