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Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Titel: Gegen Die Laufrichtung: Novelle
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Christine, denkt Jonas und versucht hinter seinen Händen väterlich die Augen zu schließen, irgendwas muß er ja nun anfangen mit seinen Augen, und wenn so etwas gefragt ist, warum nicht so etwas lernen, den genauen Aufschlag hat er sich schließlich auch beigebracht, da hatte sogar Becker Respekt; der soll jetzt eine Art Bart tragen, erzählte ihm Kunkel, nie hat ihn dieser tennisspielende Wachtmeister in Frieden gelassen. Ein Satz, Jonas, ginge inzwischen an mich, erklärte er schon nach zehn Monaten; Kunkel bestand sogar darauf, ihm auf dem Basketballfeld im Gefängnishof einen Aufschlag zu demonstrieren, angeschnitten, und er sah einfach nicht hin, das war seine Rache. Jonas hört plötzlich Lärm, er spreizt noch einmal die Finger, vor den Tischen des Operncafés stoppt ein roter Ferrari. Der Ferraribesitzer steigt aus, er trägt ein rotes Hemd mit der Aufschrift Ferrari, er setzt sich an den Tisch, der seinem roten Ferrari am nächsten ist und sieht von dort, fast mürrisch, den Passanten zu, wie sie in gebückter Haltung den Ferrari betrachten, Leuten, die, obwohl er sein rotes Ferrarihemd anhat, nicht ahnen, daß er, jetzt mit der Speisekarte spielend, Besitzer und Fahrer des roten Ferrari ist und ihnen beim Bestaunen zusieht, bis er auf einmal genug hat, aufsteht und fortbraust. Jonas schaut dem Wagen nicht nach. Licht, das von der Deutschen Bank zurückgeworfen wird, blendet ihn, er schließt die Augen; ringsherum ist es still, in der Ferne lärmt der Ferrari, oder hat er geträumt? Seit wann dürfen Autos auf den Opernplatz fahren? Er muß geträumt haben, bloß womit fing das an, gibt es Christine? Sollte sie nicht wiederkommen, wäre er von jetzt an allein, einer, der sich nachts in Hotelwannen den Schwanz wäscht; Aberhunderte von Nächten hat er in Hotels verbracht, ferngesehen, gegessen, telefoniert, das käme wieder, nur anders, ohne Blumen. Jonas dreht sich etwas. Zwei Tische weiter geht's noch immer um Tennis, ein Amerikaner ist jetzt wieder vorn, der erste seit McEnroe, Courier, Jonas will sich den Namen nicht merken, er schleppt noch viel zu viele mit sich, einen wahren Schweif, Krickstein, Mecir, Gilbert, Leconte; Wilander, Conners, Cobb; Cobb, selbst nie unter den Besten, schoß gegen ihn die umjubeltsten Bälle, wie Blitze an der Linie entlang, oft mit Glück, das einzig Angenehme, das er mit Cobb verbindet: Cobb schrieb ihm nie ins Gefängnis; aber unter Umständen erfuhr er vor lauter Tennis auch nichts von der Tat seines Gegners oder vergaß die ganze Sache während des nächsten Spiels wieder. Das ging. In einem harten Spiel erlosch alles Private. Jonas lehnt sich zurück, er sieht in die Sonne; sogar die Ella hat er auf dem Platz vergessen, die Ironie aus ihrem Mund, den schon sein Samen gefüllt hatte, War wohl gar nicht einfach, so schlecht zu spielen wie heute, sagte sie immer, er hat das nicht in sich vernichten können, ihr Gerede, und trotzdem, ein einziges Mal würde er gern noch unter Ellas Augen den Ball auf eine Bahn schicken, die für Bruchteile einer Sekunde den Lauf der Welt bestimmt.
     Sein Kopf sinkt in den Nacken, die Hände rutschen ihm auf den Bauch, wie ein Sonnenanbeter sitzt er jetzt da, Mund geöffnet, ein kurzer flacher Schlaf und doch todähnlich, alles um Jonas herum geht weiter, nichts erreicht ihn. Ein Spatz pickt die Krümel zu seinen Füßen, Jonas wird es nie erfahren, ein Pärchen, eng umschlungen, geht an seinem Tisch vorbei, jenseits von ihm das schöne Bild. Und dann ein Zufall, die Urologin und ihr Rennrad, sie fährt damit über den Platz, auf dem hochgesteckten Haar eine schützende Hand, ebensogut könnte sie nicht über den Platz radeln; kaum ist sie fort, wird neben Jonas ein Tisch frei, und während der große Zeiger an der Hochhausuhr ein Stück weitergleitet, setzt sich das Pärchen. Jonas sieht nichts, Jonas merkt nichts, sein Herz versorgt ihn mit Blut, das ist alles. Der Spatz flattert auf, er macht Wind, den Jonas nicht spürt; das Pärchen küßt sich, die Füße verhakt, und in der Ferne startet wieder ein Flugzeug, Jonas hört nicht das Dröhnen, sowenig, wie er den Krieg hört, dem die Maschine mit Decken, mit Zelten entgegenfliegt. Jonas schläft, während Kinder auf Minen treten, Kinder treten auf Minen, während Jonas schläft und sich die Tennisrunde hinter ihm streitet, Becker am Ende / Becker nicht am Ende; ganz frei, ganz gelöst sitzt er da, frei und gelöst von Christine, von Ella, von Lendl, ohne Tisch, ohne Oper, ohne
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