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Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Titel: Gegen Die Laufrichtung: Novelle
Autoren: Bodo Kirchhoff
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schweinefarben, erbrochen hat man sich danach, da war der Mund des Mitgefangenen schon eher von Gott gegeben, ein einziges Mal verlor er in diesen Jahren die Nerven, plötzlich nahm so ein Schlanker, hinter dem alle herwaren, sein schmerzendes Ding, und er stieß ihn nicht weg, er blieb regungslos liegen, ein Tier, das sich totstellt, bis quer durch seinen Unterleib ein Stich zu gehen schien, wie von einer Nadel, die das Gegenteil von Schmerz verursacht; gepißt hat er geradezu in diesen Mund, beide Hände im Haar des Schlanken vergraben, und der ist dann aufgetaucht, hat im Frankfurter Dialekt genuschelt, Für jeden die Hälft, und ihn geküßt und es zurückfließen lassen, nie wird er dieses Bitzeln vergessen, nie die Minute, die verging, bis er es herunterbekam, dieses Würgen an sich selber, das ihn jetzt wiederhat: was er da tut, kann nur schlecht sein, wegstoßen wird sie ihn, anzeigen, doch statt dessen reibt Christine ihre Stirn an seiner und winkelt ein Bein ab, hebt die Ferse aus dem Schuh, seine Fingerspitzen scheinen zu ertrinken, Pardon, flüstert er, aber ich habe tausendeinhundert Tage lang keine Frau berührt, ich kann mich nicht erinnern, und Christine schließt seinen Kopf in die Arme, als sei so ein Kopf mit verblaßter Erinnerung aufrichtig zu bedauern; Jonas spürt diese Obhut, er vertraut sich ihr an, entschwinden will er in Christine, sein blindes Ich nimmt ihre Nässe auf, verteilt sie über den flaumigen Damm, bis zum After, mit Geräuschen, an die er sich wieder erinnert, wie von schnell tröpfelndem Wasser. Christine läßt ihn, sie löst sich nur etwas; sobald ihn ihr Blick trifft, zuckt er zusammen. Aber dann schließt sie die Augen, und Jonas sieht ihre Fältchen, wie sie sich krümmen, und das Verlangen, er weiß gar nicht, welches, trocknet ihm die Kehle, nicht einmal sprechen kann er, bitte sagen, wer behauptet, man zerfließe vor Verlangen, war noch nie in seiner Lage, man erstarrt wie Gläubige in Kathedralen.
     Er glaubt an Christine, je tiefer er in sie eindringt, desto fester. Schscht, macht sie noch einmal, so leise, daß er es kaum versteht, nur das Zittern ihrer Zunge, vor Bestürzung, das versteht er und die Geste dazu: Sie streichelt seine Hand, die ihr Verborgenes streichelt, das andere, Schöne hinter dem häßlichen Wort, Jonas weiß nicht mehr weiter, Christine hilft ihm, die Hose zu öffnen; ein Gewurstel ist das inmitten seidener Fäden, den Atem hält er jetzt an, gewärtig, daß alles vorzeitig platzt, ich liebe dich, denkt er, provisorisch, und kann nichts sagen, aber da bückt sich Christine, als hätte er etwas gesagt, bückt sich, soweit das geht in der Zelle, bückt sich, soweit sie selbst gehen kann, ihren Rock über die Hüften gerafft, die Wäsche, von Fessel zu Fessel, zum Zerreißen gespannt, und Jonas schreit, unhörbar. In schnellen, wie aus einem undichten Schlauch austretenden Spritzern trifft es auf ihre Backen, im Nu ist alles vorbei, und Christine nickt, als habe sie nicht mehr erwartet, ja genau das gewollt, auf ihrem Sitzfleisch seine kleinen Bäche, für die sich Jonas nun schämt, wie für Wasser, das man nicht halten kann, die er auffangen will, ehe sie tropfen, womöglich auf Christines Schuhe, und wieder kommt sie ihm zuvor, erledigt das wie ein Stück Haushalt, während es zwei Zellen weiter raschelt; der Mann wischt sich ab, er verbraucht viel Papier, lauter einzelne Blätter, wie eine Frau. Endlich drückt er die Spülung, verschwindet mit pfeifendem Atem.
     Christine weint; nun kann sie vom Tod der Tante erzählen, aber ihr fällt kein Übergang ein, naßgeschwitzt bis zu den Schenkeln steht sie da, entfaltet ein Taschentuch und schneuzt sich, nimmt den letzten Tropfen weg. So bin ich, sagt sie und tritt auch schon aus der Kabine, zu tun, was getan werden muß, den verwischten Lidstrich entfernen, die verweinten Augen trocknen, neue Lidstriche ziehen, die Nase pudern, sich kämmen. Jonas, noch sprachlos, tritt neben sie, er atmet durch den Mund, er möchte ein Wort von ihr, die Besiegelung, aber Christine fährt ihm nur übers Haar, Besser, du wartest noch. In zwei Minuten kommst du nach. Jonas will ihr danken, er weiß nicht, wie, ja nicht einmal genau, wofür; während er noch überlegt, lenkt ihn Christine in den Vorraum und stürmt, als sei sie doch Alpinistin, die Treppe hinauf, stürmt durchs Café ins Freie und sieht auf Jonas' Stuhl einen alten Bekannten.
     Roth, Mitte Vierzig, glückloser Autor, mit einer Erzählung namentlich
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