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Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Titel: Gegen Die Laufrichtung: Novelle
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Papierbahn, Jonas löst sich von dem Stuhl, er nimmt den Schirm, den Ball, first set, Jonas to serve, sagt Mr. Kaufman von seinem Thron herab, wie das Gute-Nacht-mein-Schatz am Kinderbett sitzt ihm das noch im Gedächtnis, und Jonas stellt sich zur Linie, still wird es auf den Rängen, er wirft den Hundeball mit der Linken, so wie es sein sollte, hoch über den Kopf und doch leicht versetzt, während er in die Knie geht, ausholt mit dem Regenschirm, all sein Gewicht in den Schlag legt und ein Stück aufspringt, den Ball genau mit der Krücke ins andere Feld schlägt, weshalb, er weiß es nicht. Fifteen-love, Wimbledon, Herrenfinale, sein Endspiel, im Halbschlaf, so würde er, schon künstlich beatmet, die letzten Tage des Lebens verbringen, es endlich können, dämmernd in einem orangenen Nebel mit grünem Feld in der Mitte, dem Centre Court, und einem silbrigen Fleck am Rande, dem Haar der Herzogin von Kent; Jonas spürt das nicht auf sich zukommen, es ist schon da, er sammelt sich, er sucht die Herzogin, waffelfarben, alterslos, so müßte sie in ihrer Loge sitzen, aber da sind bloß die Büsche am Rande des Felds, er steht auf dem Platz der Süchtigen, ihr Turnier ist unterbrochen, nur eine Fotografin treibt sich noch herum, Jonas sieht sie nun von weitem, rasch, wie Christine, nähert sie sich, ihr Rennrad schiebend, alles scheint von vorn zu beginnen, ruckartig bückt er sich nach einer Nadel; Jonas will sich den Ärmel hochkrempeln, da kommt Gewimmer aus einem der Büsche, Jonas schaut auf: Eine Frau im Turnanzug gräbt mit den Händen im Boden, immer hastiger, immer wimmernder gräbt sie, findet nicht, was sie sucht, und er denkt, sie werde den Verstand verlieren, schreien, schreiend das Feld betreten, sein Spiel stören; denn nach und nach wagen sich die Süchtigen wieder hervor, um gegen ihn anzutreten. Alle haben sie ihre Ausrüstung dabei, zerdrückte Büchsen, krumme Löffel, Kerzen, alle tragen sie Binden um die Gelenke, als menstruierten sie dort; an ihrer Spitze die Fotografin.
     Jonas weiß nicht, wo er hinsehen soll, er sieht auf die staubige Nadel in seiner Hand, er sieht zu der Frau, die jetzt innehält, nicht mehr gräbt; statt dessen läßt sie die Hosen herunter, geht in die Hocke, Jonas mag das nicht mit ansehen, aber das Wegsehen mißlingt, als halte ihm jemand den Kopf, und so sieht er die Fotografin, herangeeilt auf dem Rad, wie sie die Hockende fotografiert, deren weißen, erbebenden Leib; Jonas sieht sie gegen Menschenrecht verstoßen, so wie die Ella, als sie mit dem Galeristen ankam, gegen Menschenrecht verstieß, er schlägt seinen Ärmel zurück, Schweiß läuft ihm in die Augen, aber auch ohne das sähe er nichts von Christine, die jetzt einen Bogen macht um die Fotografin und ihr Motiv, dadurch zu spät kommt. Schon hat sich Jonas die Nadel in den nichtsnutzigen Arm gedrückt, hat den Stich kaum gespürt, ist das Schlimmste erst da, ist es bereits wieder fern; er genießt diesen Beginn des Erlöschens, wie er im Gefängnis den Moment des sich Schlafenlegens genoß, die winzigen, zu allem fähigen Gegner sind schon vom fremden Blut auf seins übergegangen, ihm verbunden, wie Doppelpartner, für Jahre, um dann, über Nacht, die Seiten zu wechseln, ihn allmählich zu vernichten, ohne daß er mehr dagegen tun könnte als heroisch sein, wie in der Niederlage gegen Cobb. Jonas hat es beinahe zu Ende gedacht, da erkennt er Christine, während die Fotografin offenbar ihn erkennt, zwei Rufe, Christine / Jonas, überschlagen sich zu einer Art Warnschrei, die Süchtigen zerstreuen sich wieder, übrig bleiben die bekannten Personen – abgesehen von der Bebenden im Gebüsch –, beobachtet von einer weiteren; Roth, weinbefleckt, macht sich Notizen auf seinem liliputanischen Block.
     Die Fotografin – groß, mit früh ergrautem, hochgestecktem Haar, fast vornehm in dem Schmutz, den sie festhält, als führe die Herzogin von Kent ein Doppelleben – hängt ihre Fototasche ans Rad und geht, das Rad schiebend, zu Jonas. Mein Gott, sagt sie und flucht dann, wie die Herzogin nie fluchen würde: mit einer einzigen Bewegung, so schnell, wie er das Messer führte, öffnet ihr Jonas ein Ventil, während Christine auf seinen Arm zeigt, fragt, ob das eine Nadel sei, die hier gelegen habe. Und mit seinem Schweigen endet die Zeit mit Christine, wenn nicht überhaupt Jonas' Zeit, alle Knoten lösen sich. Mit zwei, drei Sätzen, den Arm gestreckt, als müßte er einen Stoppball erreichen, ist der Entlassene
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