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Gefühltes Wissen

Gefühltes Wissen

Titel: Gefühltes Wissen
Autoren: Horst Evers
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nie haben wollte? Ist das meine Midlife-Krise? Gleich nochmal so was, was ich doch eigentlich nie haben wollte. Obwohl, andererseits, warum nicht? Andere kaufen sich einen Sportwagen oder sprechen junge Frauen an, ich schaffe mir einen Garten an. Die Menschen sind verschieden. Hätt' schlimmer kommen können.
    Gut, vielleicht bin ich ein bisschen früh dran mit meiner Midlife-Krise, aber egal, bin ich eben Frühentwickler, und wie heißt es so schön: «Was man hat, das hat man.» Dafür bin ich dann auch zeitig mit dieser Midlife-Krise durch und hab später umso länger was von meinem Altersstarrsinn. Darauf freue ich mich schon. Altersstarrsinn, ich glaube, das liegt mir, das ist mal was, was ich richtig gut kann.
    - Oh, das ist aber ein hässlicher Topf!, sagt die Familie, als sie meinen Garten sieht.
    - Gott, was haste da denn wieder für 'n Scheiß gekauft, sprudelt es undankbar aus ihr heraus.
    Na, die werden schon sehen, wenn wir erst mal unsere eigenen Kräuter haben, aus unserem eigenen Garten, dann werden die schon sehen, wie schön das ist, so ein eigener Garten, werden die schon sehen…
    Räume alle Pflanzen und sonstiges Gerümpel von der Fensterbank, um Platz für meinen Garten zu schaffen. Gieße ihn von nun an sehr gewissenhaft zweimal täglich, so wie es die heilige Gebrauchsanweisung des Kräutergartens befiehlt. Bald werden die sehen.
    Nichts passiert.
    - Na, wird wohl nichts, dein Scheißgarten, was, bescheidmeiert die Familie sich munter beömmelnd ab der zweiten Woche. Ignoranten. Fürs Gärtnern braucht man Geduld, weiß doch jeder und steht außerdem auch in der Gebrauchsanweisung. Lasse mich nicht von diesem heidnischen Geschwätz irritieren und begieße weiter tapfer zweimal täglich meine Midlife-Krise.
    - Das ist wegen den Samen, sagt die Gartenfachkraft vom Blumenladen einen Monat später. «Das sind Industriesamen, Billigware aus Polen. Das taugt nichts. Für so was brauchen Sie Profisamen. Sind aber nicht billig.»
    Greife meine Rücklagen an und erstehe Profisamen. Säe neu aus. Nichts passiert.
    - Das ist wegen der Erde!, sagt der Gartenfachmann aus dem Baumarkt. «Das ist Billigerde aus Bulgarien. Die taugt nichts. Für so was brauchen Sie Profiblumenerde. Ist aber nicht billig.
    Picke ca. sieben Stunden lang die Profisamen wieder aus der Billigerde raus. Ersetze den bulgarischen Scheiß durch Profiblumenerde und säe nochmal aus. Packe dann die Billigerde in ein Päckchen und schicke sie zurück nach Bulgarien. Können die mal sehen, was die da für eine Misterde exportieren. Nichts passiert.
    - Das ist wegen dem Licht, sagt der Gartenguru aus dem Pflanzengroßhandel. «Berliner Licht, also Berliner Wetter ist zu unbeständig. Berliner Wetter ist sozusagen Billigwetter aus Osteuropa. Das taugt nichts. Für so was brauchen Sie Profiwetter, sprich: Profilicht. Ist aber nicht billig.»
    Löse unsere Altersvorsorge auf, gehe in den Elektromarkt und kaufe Profiwetter, sprich: mehrere Heiz- und Profilichtstrahler. Besorge dann noch im Baumarkt massenweise Jalousien, um sämtliche Fenster in der Wohnung zuzuhängen, damit nichts mehr von diesem verdammten Berliner Billigwetter an meinen Garten kommen kann. Nichts passiert.
    - Das ist wegen dem Wasser, sagt der Gartenpapst aus dem Internet. Berliner Leitungswasser ist zu sauber, da fehlen die Nährstoffe. Für Pflanzen ist das quasi Billigwasser aus Spandau. Für so was brauchen Sie richtiges dreckiges, nährstoffhaltiges Profiwasser.»
    Nehme einen Kredit auf, löse einige Dielen im Berliner Zimmer und installiere dort meine eigene, private Sickergrube für dreckiges, abgestandenes, brackiges, stinkendes Profiblumenwasser. Nichts passiert.
    - Das ist wegen dir, du Arschloch, klugscheißert die entnervte Familie, während sie in der stinkenden, abgedunkelten Wohnung sitzt.
    «Du bist quasi Billiggärtnerware aus Niedersachsen. Das taugt nichts. Für so was braucht man einen Profigärtner aus Andalusien oder so…»
    Denke: «Das wird nicht billig.» Rufe in Spanien an. Kriege gesagt, die brauchen ihre Gärtner selbst. Gebe auf. Nehme meinen Midlife-Krisen-Topf und stelle ihn neben die Mülltonnen im Hof. Vielleicht sollte ich meine Midlife-Krise nochmal anders feiern. Doch ein Sportwagen? Oder was, was eher meinem Wesen und meinen verbliebenen finanziellen Möglichkeiten entspricht? Sportpuschen zum Beispiel. Ich glaube, ich sollte mir Sportpuschen kaufen.

    Epilog
    Knapp zwei Wochen später sind wir bei der Nachbarin zum Frühstück
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