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Gefühltes Wissen

Gefühltes Wissen

Titel: Gefühltes Wissen
Autoren: Horst Evers
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eingeladen. Es gibt sehr leckere Rühreier mit ganz frischen Kräutern. Stolz zeigt sie auf den strotzenden Topf auf dem Fensterbrett: «Und ihr könnt euch nicht vorstellen, wo ich den gefunden habe.» Doch, das kann ich.

Die IKEA-Revolution
    Seit Kurzem muss ich an meinem Kiosk immer etwas länger warten. Das liegt daran, dass die Jugendlichen vor mir den armen Kioskbesitzer immer ewig nach einer Zigarettenpackung mit dem richtigen Aufdruck suchen lassen. Nach meinen bisherigen Recherchen sind der Spruch mit den Spermatozoen und das schlichte «Rauchen kann tödlich sein» ziemlich cool. Wer allerdings mit einer Schachtel mit Gefäßkrankheiten, Leberschäden oder Nierenerkrankungen rumläuft, kann seine Jugend gleich knicken. Der ist eine Flusche, ein Loser, ein In-den-Eimer-Kacker oder auch ein Superstar-Bewerber. Einer der Jugendlichen liest den Aufdruck und macht sich lustig. «Die EG-Gesundheitsminister: Mann ey, was soll ich denn vonner Warnung halten, von Leuten, die nicht mal wissen, dass die EG jetzt EU heißt. Warum nicht gleich: Der Reichskanzler: Rauchen schadet der Volksgesundheit.»
    Nach ihnen bin ich dran und ordere drei Schachteln Camel Filter. Es entsteht ein recht eigenwilliger Dialog, den ich vielleicht so, wie er ist, für den nächsten Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb einreichen werde:
    - Zwei Schachteln Camel Filter, bitte.
    - Oh, ich hab aber nur noch Gefäßkrankheiten.
    - Gibt's keinen schmerzhaften Tod mehr?
    - Is' aus. Vielleicht sind im Lager noch Ratschläge von Apothekern.
    - Ich möcht aber lieber schmerzhaften Tod.
    - Schmerzhafter Tod kommt erst wieder übermorgen. Nimm 'ne 10er, da gibt's noch erheblichen Schaden für die Menschen in Ihrer Umgebung.
    - Dann kann ich auch gleich Gefäßkrankheiten nehmen.
    - Na ja, viele mögen ja, dass die Haut schneller altert.
    - Die Jugendlichen vielleicht, mir is' das nix.
    - Komm, ich schneid dir einen schmerzhaften Tod aus 'ner andren Schachtel raus, kannst ihn dann einfach vor deine Gefäßkrankheiten schieben. Aber vergiss es nicht. Diese Aufdrucke können lästig sein, aber sie liefern auch Perspektiven. Ich habe mittlerweile überall in meiner Wohnung kleine Zettel verteilt:
    Vor dem Sofa. «Der Horst-Arbeitsminister: Das Nur-kurz-mal-aufs-Sofa-Legen kann zu plötzlichem Einschlafen führen.»
    Am Kühlschrank. «Der Ernährungs- und Versorgungshorst: Der Blick in den Kühlschrank kann zu plötzlichem Hunger und Depression führen.»
    Überm Schreibtisch. «Der Horst-Organisationsminister: Das ständige Belegen und Stapeln von Sachen auf dem Schreibtisch kann zu einem Arbeits- und Reformstau führen.»
    Neben der Toilette. «Der Informationshorst: Das stundenlange, ohne den eigentlichen Grund Noch-weiter-auf-der-Toilette-Verharren und Zeitunglesen kann zwar, wenn man nur lange genug sitzt, irgendwann einen Toilettengang sparen, führt jedoch nach einiger Zeit dazu, dass die Beine einschlafen, man also, selbst wenn man wollte, gar nicht mehr aufstehen könnte, was, spätestens wenn die Zeitung ausgelesen ist, zu einem wehrlosen Vor-sich-hin-Starren und gar zu einem wachkomaähnlichen Zustand führen kann, woraus man zwar vielleicht irgendwann von freundlichen Rettern befreit wird, was aber trotzdem immer etwas unangenehm ist, da ein wehrlos vor sich hin starrender Mensch auf der Toilette auch für die Retter nie ein sehr schöner Anblick ist.»
    Dieser Zettel vor der Toilette hat allerdings den Nachteil, dass, bis ich den ganz durchgelesen habe, meine Beine meistens schon eingeschlafen sind.
    Andere Zettel funktionieren sehr viel besser. So zum Beispiel der auf dem IKEA-Katalog. «Der Inneneinrichtungshorst: Der Kauf von Scheiß gefährdet die Abstellflächen in deiner Wohnung.»
    IKEA hat wirklich mein Kaufverhalten und das meiner Umgebung revolutioniert. Während man sich bei anderen Einkäufen vorher genau einprägt, was man alles braucht und keinesfalls vergessen darf, geht es bei IKEA immer darum, sich vorher genau einzuhämmern, was man auf keinen Fall mehr nochmal braucht und unter keinen Umständen auch nur versehentlich schon wieder kaufen sollte.
    Bei meinem Antrittsbesuch im neuen Innenstadt-IKEA sah ich bei meiner Ankunft auf dem Parkplatz ein Pärchen, das sich feierlich an den Händen nahm, tief in die Augen schaute und gemeinsam rhythmisch sprach:
    «Wir gehen jetzt zu IKEA, und wir werden ein Schlafsofa kaufen. Nur ein Schlafsofa. Wir kaufen keine Teelichter, keine Kerzen, keine Pappschachteln, keine Blumentöpfe, keine
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