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Gefühltes Wissen

Gefühltes Wissen

Titel: Gefühltes Wissen
Autoren: Horst Evers
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Aufbewahrungswunder, keine Bettwäsche und vor allem keine Gläser! Wir haben genug IKEA-Gläser noch originalverpackt zu Hause, keine Gläser, das ist unser Versprechen! Wir schaffen das, hurra!!!»
    Einige Stunden später auf dem Nachhauseweg sehe ich sie schluchzend vor ihrem Auto sitzen. Ihre beiden Einkaufswagen quellen über von Kerzen, Pappschachteln und Gläserkartons. Von einem Schlafsofa ist nichts zu sehen. Ich setze mich zu ihnen und erzähle von meiner gut funktionierenden Zettelorganisation. Der Mann schaut auf meinen Einkaufswagen und die Gläserkartons darin.
    - Na ja, ich brauchte aber auch Gläser. Echt. Dringend. Ich hab schon seit Tagen nur noch aus der hohlen Hand getrunken.
    Sie scheinend zu schlucken. Voll Hochachtung und Bewunderung schauen sie zu mir auf. Ein gutes Gefühl. Ich stecke mir eine Zigarette an. Der Blick der jungen Frau fällt auf die Schachtel, und ihr gerade noch ehrfurchtsvoller Gesichtsausdruck bekommt höchst spöttische Züge.
    - Gefäßkrankheiten, ja? Guck mal, was 'n Loser. Lass uns verschwinden. Der hat doch auch keine Gläser gebraucht. Verächtlich lachend steigen sie in ihr Auto.
    Da stand ich nun und wünschte mir einen schmerzhaften Tod.

Was die Kunst uns über das Leben lehrt
    Es war einer dieser Tage, wo man schon am Morgen denkt: Also, wenn eins nun heute wirklich auf keinen Fall passieren wird, dann ist es das, dass ich heute noch irgendwas fürs Leben lerne. Nee, beim besten Willen nicht. Alles Mögliche kann heute noch passieren. Alles Mögliche, dass ich zwei Euro auf der Straße finde, kein Problem, kann passieren; dass mir die Liebe meines Lebens begegnet und ich's nicht merke, ohne Weiteres denkbar; dass ich beim Duschen ausrutsche, mir ganz doll wehtue, so doll, dass ich ab dann riesige Angst vorm Duschen habe, mich deshalb nie wieder duschen werde, immer schlimmer stinke und dadurch früher oder später alle meine Sozialkontakte verliere, vereinsame und daran stinkend sterbe, alles ohne Weiteres möglich; aber dass ich heute noch was fürs Leben lerne, nee, das nu beim besten Willen nicht, das wird heute also nun garantiert nicht passieren. Und wenn doch, dann werd ich aber sagen: Mann, Mann, Mann, das hätt ich aber nu nicht gedacht. Und ich werde sehr überzeugt sein, wenn ich das sage.
    Ich war an diesem Tag zu einer Ausstellungseröffnung am Rande Berlins eingeladen. Und weil ich nichts zu tun hatte, willigte ich ein. Und weil ich nichts zu essen hatte, ging ich auch hin. Was sollte schon passieren. Dass ich was kaufe, was ich mir nicht leisten kann? Kaum. Da sind Flohmärkte viel gefährlicher für mich.
    Auf der Vernissage dann brauchte ich genau fünf Minuten, um mich so deplatziert zu fühlen wie ein Pantomime im Blindenheim. Mein erster Gedanke war: «Sag mal, haste nicht doch noch irgendwas anderes zu tun?» Hatte ich aber nicht.
    An den Autos der anderen Besucher erkannte ich schnell, dass hier genau die Leute waren, die auch so jemanden wie mich durchfüttern können müssten. Diese Leute waren verdammt wohlhabend. Ein Beispiel: Obwohl es unheimlich viel zu trinken gab und alles umsonst war, war kein einziger der Besucher betrunken, also außer mir. Freibier, und kein Einziger ist betrunken, das ist Reichtum. Wenn auch ziemlich dekadent. Denn man sieht daran, dass Geld eben nicht glücklich macht, wenn man die Magie des Augenblicks einfach nicht mehr genießen kann, die besonderen Momente des Lebens, wie Freibier eben. Tja, die reichen Leute haben's auch nicht immer nur schön.
    Ausgestellt waren neben einigen Bildern auch Möbelstücke, die im Prinzip alle aussahen wie von IKEA, nur dass sie nicht so lustige Namen hatten. Die lustigen Namen musste man schon selbst mitbringen. Ich habe keinen lustigen Namen. Deshalb hab ich auch kaum mehr etwas von IKEA. In einem Bett schlafen, das lustiger heißt als ich selbst, nee, das wär mir nix. Früher, als ich noch mehr Sachen von IKEA hatte, habe ich immer alle Namen der Möbelstücke mit auf den Briefkasten geschrieben. Irgendwann kam der Moment, wo mein Sessel mehr Post bekam als ich. Das war sehr deprimierend. Später gewann der Sessel bei einer Millionenchance bei Faber offensichtlich ein kleines Vermögen. Zumindest hat er sich über Nacht aus dem Staub gemacht und lebt heute vermutlich in Saus und Braus irgendwo in Südamerika. Seitdem rede ich meine Möbelstücke nicht mehr mit Namen an.
    Besonders faszinierte mich auf der Ausstellung ein kleiner, sehr niedriger Tisch, der knapp 12000 Euro
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