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Gefühltes Wissen

Gefühltes Wissen

Titel: Gefühltes Wissen
Autoren: Horst Evers
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oder so kosten sollte. So stand es zumindest wörtlich am Tisch: «Preis: knapp 12000 Euro oder so». Insgesamt ähnelte der Tisch sehr meinem Küchentisch. Den habe ich vor sieben Jahren für eine Flasche Sekt gekauft und dann die Beine abgesägt, weil er zu hoch fürs Küchensofa war. Was macht man mit einem Tisch für 12000 Euro oder so? An die Wand hängen? In den Tresor stellen? Von so einem Tisch kann man doch nicht essen. Das wär doch, als würde man die Mona Lisa entrahmen und als Unterlegdeckchen für die Blumenvase benutzen.
    Mitte der 70er Jahre haben meine Eltern ein superteures Silberbesteck gekauft. Für besonders festliche Feste. Allerdings waren die Feste seitdem nie festlich genug, um es auch einmal zu benutzen. Weder meine Konfirmation noch die Silberhochzeit, noch Geburtstage oder Weihnachten. Wichtige Tage, klar, aber fürs Silberbesteck reichte es eben doch nicht ganz. Wahrscheinlich kommt es erst zum Einsatz, wenn mal zufällig der Herr Bundeskanzler vor der Tür steht und bei meinen Eltern einen Happen essen will. Mein Vater spricht deshalb schon von einem Fehlkauf, meine Mutter jedoch meint, sie geht seither, wenn's klingelt, viel gelassener zur Tür.
    Später konnte ich mit dem Künstler über den 12000-Euro-Tisch reden. Dass er der Künstler war, erkannte ich übrigens daran, dass er der Erste war, der mich nicht fragte, ob ich der Künstler sei.
    Er bezeichnete den Tisch als preiswert und rechtfertigte dies damit, dass es ein niedriger Hocktisch sei, an dem man nur hocken könne. Man brauchte also keine Stühle zu kaufen, wodurch der Tisch einem eine Menge Geld spare. Ich sagte, ich habe aber schon ein Sofa. Das ist eh schon ziemlich flach und wird jedes Jahr noch etwas flacher.
    Der Künstler lachte, weil er auch so ein Sofa hatte, eigentlich wäre der Tisch auch als Spezialanfertigung für seine Küche gedacht gewesen, aber dann, immerhin steckten in dem Tisch über 200 Arbeitsstunden, aber kein einziger Nagel und kein einziger Tropfen Leim. Ich tat so, als würde ich ihn verstehn, und sagte sehr geschickt: «Na dann.»
    Er verstand meine Antwort offensichtlich genau so, wie sie gemeint war. Lächelnd antwortete er auf meine eigentlich gar nicht gestellte Frage:
    «Okay, ich hab auch überlegt, ob ich den Tisch nicht für einen niedrigeren Preis hätte anbieten sollen, hab aber dann doch davon Abstand genommen, weil: dann wäre er ja nicht so viel wert.»
    Und ich sagte: «Mann, Mann, Mann.»

Berliner Idyll 1
    Auf Wohnungen aufpassen, wenn der Inhaber verreist ist, mache ich immer gern. Erst recht, wenn in der Wohnung ein riesiger Computer mit einer Unmenge mir völlig unbekannter Spiele steht. Da bleib ich dann auch schon mal gern eine ganze Nacht und passe auf den Computer auf. Sogar wenn die Wohnung im Prenzlauer Berg ist. Walter hatte mich jedoch gewarnt: «Die Wohnung ist eigentlich gar nicht schlecht, wenn da nicht die Kneipe unten im Haus wäre, sie wird ausschließlich von den Hausbewohnern besucht. Und das rund um die Uhr. Nachts hör ich immer dieselben Geräusche von Bewohnern, die eine kurze Kneipenpause machen: Bamm-Bamm-Bamm-Bamm-Uargghhh … Bamm-Bamm-Bamm-Bamm …» Aber was sollte mich das schon stören, ich war schließlich in der Wohnung, um zu spielen.
    Ich saß also gerade des Nachts am Computer, als es plötzlich an die Haustür wummerte:
    - Helma! Helma! Bitte, Helma, lass mich rein, ich muss nur mal schnell pinkeln, dann geh ich auch gleich wieder!
    Nur wenige Menschen nennen mich Helma. Genau genommen keiner.
    - Es tut mir leid, aber hier is' keine Helma.
    - Mensch, Helma! Nu veräppel mich nich'. Ich erkenn doch deine Stimme.
    Hm. Wer immer diese Helma auch sein mochte: Sie hatte was.
    - Komm, Helma, dauert nich' lange, bestimmt nich, ehrlich wahr, wenn du mich nicht reinlässt, pinkel ich dir durch den Briefschlitz.
    Ich überlegte, ob ich es interessant finden würde, das von der Wohnung aus zu beobachten, als plötzlich das Telefon klingelte. Ich stellte noch schnell einen Wassereimer unter den Briefschlitz und ging dann ran.
    - Hallo, hier ist Helma aus dem Stockwerk unter Ihnen. Ich hör gerade, wie mein Hubert an Ihre Tür wummert. Lassen Sie ihn nicht rein und sagen Sie ihm auch nicht, dass ich angerufen habe.
    Natürlich würde ich ihn nicht reinlassen. Wenn Helmas Stimme schon wie meine klang, wer sagte mir dann, dass Helma nicht auch aussah wie ich. Irgendwie wollte ich nicht, dass Hubert mich dauerhaft für Helma hielt.
    - Helma, jetzt lass mich
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