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Eifel-Schnee

Eifel-Schnee

Titel: Eifel-Schnee
Autoren: Jacques Berndorf
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ERSTES KAPITEL
    Weihnachten, das steht im Handbuch jedes anständigen Deutschen, ist ein hohes Fest, eine äußerst gefühlige Angelegenheit. Also hatte ich mir ein paar sehr schöne Zweige der Weimutskiefer aus dem Wald geholt, dazu im Supermarkt in Hillesheim zwei Kartons rote und blaue Weihnachtskugeln erstanden und vier Pakete rotes und vier Pakete silbernes Lametta – man gönnt sich ja sonst nichts. Ich hatte mir vorgestellt, zusammen mit meinen Katzen ein gemütliches Fest zu verleben, versonnen in brennende Kerzen zu blicken und sehr andächtig zu sein. Einmal im Jahr braucht der Mensch das.
    Am Heiligen Abend machte ich gegen Mittag Schluß mit der Arbeit und hielt Momo und Paul eine informative Rede, in der ich ihnen grob erklärte, was es mit dem menschlichen Weihnachten so auf sich hat, weshalb wir dieses Fest feiern und warum die Hälfte der Weltbevölkerung in Schmalz ersäuft, wenn sie nur an diese Tage denkt.
    Meine Katzen sind sehr kluge Tiere, und sie hörten mir offensichtlich aufmerksam zu, blinzelten und zeigten blanke Kinderaugen. Dann beobachteten sie nervös, wie ich eine Dose Ölsardinen öffnete und ihnen jeweils die Hälfte auf die Teller füllte. Sie fraßen mit einer ungeheuren Geschwindigkeit und lauschten dann erneut, während ich ihnen mit väterlicher Güte mitteilte, daß das nur die Vorspeise gewesen sei. Der Hauptgang bestand aus je einhundert Gramm grober, handgedrechselter Bauernleberwurst, das Dessert aus je drei Eßlöffeln Vanillefla direkt von einer holländischen Molkerei nahe Utrecht.
    Momo übergab sich als erster. Er erledigte das sehr dezent in einer dunklen Ecke unter dem alten Küchenherd, die ich nur erreichte, indem ich mich bäuchlings platt auf die Fliesen legte. Paul, der als jugendlicher Rabauke nicht soviel Rücksicht nahm, entleerte seinen Magen kurzerhand auf meinem neuen schwedischen Wollteppich.
    Weil Weihnachten war, schimpfte ich nicht.
    Dann gingen wir daran, unseren Weihnachtsstrauß aufzustellen und festlich zu schmücken. Die Kiefernzweige waren etwa einen Meter zwanzig lang, und die Vase, die ich auserkoren hatte, war aus Ton und ungefähr vierzig Zentimeter hoch. Handwerklich geschickt, wie ich nun einmal bin, legte ich etwa ein Kilo Kieselsteine unten in die Vase, um sie genügend zu beschweren. Schließlich füllte ich Wasser auf. Da hinein kamen die Zweige, die angenehm nach Zitrone rochen. Ich arrangierte sie so, daß eine Ikebana-Meisterin neidisch gewesen wäre. Die Kugeln und eine hoch künstlerische Drapierung des Lamettas folgten.
    Derweil erzählte ich meinen Katzen die Geschichte von meinem Vater und mir, als wir zusammen einen Weihnachtsbaum geschmückt hatten und dabei unbedingt einer Flasche Whisky auf den Grund gehen mußten. Ich gestand ihnen auch, daß ich sturzbetrunken von einer Leiter in den zwei Meter hohen, höchst aufwendig geputzten Baum gefallen war, der anschließend so ausgesehen hatte wie ein Kohlstrunk nach den ersten Nachtfrösten.
    »Weihnachten«, erklärte ich den Katzen, »ist für jedermann ein Anlaß, sich zu erinnern. An all die vielen Weihnachtsfeste, die man im Kreis seiner Lieben verbracht und die man auf die wunderbarste Weise überlebt hat.«
    Momo hatte sich in den Sessel vor den Fernseher gelegt, Paul zu seinen Füßen. Sie schauten mir zu, und wahrscheinlich dachten sie: Der Alte sollte weniger reden und statt dessen noch ein paar Ölsardinen rausrücken.
    Gegen 17 Uhr sendete die ARD eine seit Jahrhunderten beliebte ölige Sendung in der Art Wir warten auf das Christkind. Andächtig lauschten wir dem Thomanerchor, der ganz verzückt bekundete, es sei erneut ein Ros entsprungen. Später brutzelte ich mir Bratkartoffeln mit sechs Spiegeleiern und überlegte, in die Christmette nach Maria Laach zu fahren. Seit ich Kind war, habe ich einen erschreckenden Hang zu mönchischem Leben. Aber dann fand ich die Idee gar nicht mehr so gut, weil es ja geschehen konnte, daß mich jemand anrief und mir fröhliche Weihnachten wünschen wollte. So etwas ist ja nicht auszuschließen.
    In diesem Moment klingelte entfernt mein Handy. Ich wußte genau, ich hatte gegen Mittag in der Wanne gesessen und telefoniert. Also mußte das Gerät im Badezimmer sein. Es fand sich unter einem Haufen alter Handtücher.
    »Siggi Baumeister. Fröhliche Weihnachten denn auch«, meldete ich mich.
    »Ich bin es«, antwortete Dinah kläglich. »Ich wollte, ich wäre nicht zu meinen Eltern gefahren.«
    »Du hast darauf bestanden«, schnauzte
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