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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen
Autoren: Giles Blunt
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Gedanken, Daddy.«
    Sie umarmte ihn, und dann sah er ihr nach, wie sie ihr Gepäck durch die Sicherheitskontrolle brachte (die aus zwei uniformierten Frauen bestand, die kaum älter als sie selber waren) und dem Ausgang zustrebte. Cardinal ging zum Fenster und sah, wie sie durch den aufgewirbelten Schnee ging. Der junge Schnösel heftete sich gleich an ihre Fersen. Als Cardinal dann wieder draußen stand und die Windschutzscheibe mit dem Handschuh vom Schnee befreite, hatte er sich dafür gescholten, so ein eifersüchtiger Hohlkopf zu sein, ein überfürsorglicher Vater, der sein Kind nicht erwachsen werden ließ. Cardinal war Katholik, wenngleich er seinen Glauben verloren hatte, und wie alle Katholiken, ob ungläubig oder fromm, hatte er sich den geradezu lustvollen Hang bewahrt, sich seine Sünden vorzuhalten, wenn auch nicht unbedingt die, die er tatsächlich begangen hatte.
    Das Whiskyglas stand nun halb leer auf dem Couchtisch. Cardinal hatte seine Gedanken schweifen lassen. Er erhob sich steif aus dem Sessel und ging zu Bett. Im Dunkeln erschienen andere Bilder: die Scheinwerfer auf dem See, die im Eis festgefrorene Leiche, das Gesicht seiner Kollegin Lise Delorme. Dann dachte er anCatherine. Obwohl seine Frau alles andere als glückliche Zeiten durchmachte, zwang er sich, sie sich mit einem Lachen im Gesicht vorzustellen. Ja, sie würden zusammen weggehen, irgendwohin, weit weg von der Kripoarbeit und ihren privaten Sorgen, und sie würden lachen.

4
    D on (kurz für Adonis) Dyson war ein jugendlich wirkender Fünfziger, drahtig wie ein Turner, mit federndem Gang und lebhafter Gestik, nur war er, wie seine Mitarbeiter nicht müde wurden zu betonen, eben kein Adonis. Das Einzige, was Detective Sergeant Don Dyson mit seinen Namensvettern in den Museen gemeinsam hatte, war ein Herz so kalt wie Marmor. Keiner wusste, ob er so auf die Welt gekommen war oder ob fünfzehn Jahre Berufserfahrung bei der Mordkommission in Toronto ein ohnehin schon kühles Temperament vollends in Eiseskälte verwandelt hatten. Der Mann hatte keine Freunde – weder bei der Polizei noch anderswo –, und alle, die Mrs. Dyson kennen gelernt hatten, sagten, neben ihr wirke ihr Gatte geradezu sentimental.
    Detective Sergeant Dyson war kahl, pingelig, berechnend und ins eigene Wort verliebt. Er hatte lange, an den Enden spatelförmige Finger, auf die er über die Maßen stolz war. Wenn er seinen Brieföffner benutzte oder mit einer Schachtel Büroklammern spielte, vermittelten diese langen Finger einen spinnenartigen Eindruck. Sein kahler Schädel, der von einem geometrisch exakt geschnittenen Haarkranz gesäumt war, besaß eine vollkommen sphärische Gestalt. Jerry Commanda konnte den Mann nicht ausstehen, doch Jerry ertrug ganz allgemein Autorität nur schwer, ein Charakterzug, den Cardinal seiner indianischen Herkunft zuschrieb. Delorme behauptete, sie könne Dysons Schädel als Spiegel benutzen, um sich die Augenbrauen zu zupfen. Was freilich nicht hieß, dass sie sich tatsächlich die Augenbrauen zupfte.
    Derselbe blinkende Schädel neigte sich nun Cardinal zu, der in einem Winkel von exakt fünfundvierzig Grad auf einem Stuhl neben Dysons Schreibtisch saß. Gewiss hatte sein Vorgesetzter irgendwo gelesen, dass dieser Winkel führungspsychologische Vorteile bringe. Er war ein Mann, der Genauigkeit liebte und füralles, was er tat, seine Gründe hatte. In einer Ecke seines Schreibtisches hatte er einen honigglänzenden Donut deponiert, den er präzise um halb elf – und nicht eine Minute früher oder später – zusammen mit einem Schluck koffeinfreien Kaffee aus der danebenstehenden Thermoskanne vertilgen würde.
    In diesem Augenblick hielt Dyson gerade den Brieföffner zwischen seinen ausgestreckten Händen, als ob er den Schreibtisch damit vermessen wollte. Wenn er redete, schien es so, als wandte er sich in erster Linie an die Klinge. »Ich habe nie gesagt, Sie hätten Unrecht. Ich habe nie behauptet, das Mädchen sei nicht ermordet worden. Mit keinem Wort.«
    »Nein, das haben Sie auch nicht.« Cardinal neigte dazu, sich immer dann, wenn Wut in ihm aufstieg, besonders höflich zu benehmen. Doch jetzt kämpfte er gegen diese Neigung. »Meine Versetzung ins Dezernat für Eigentumsdelikte war von Ihnen lediglich als spirituelle Übung gedacht.«
    »Erinnern Sie sich noch, welche Ausgaben Sie verursacht haben? Wir befanden und wir befinden uns immer noch in Zeiten der Kostenreduzierung. Wir können nicht so tun, als wären wir die
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