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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen
Autoren: Giles Blunt
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sorgfältig neben das Lineal. »Bei dem Mädchen handelte es sich um eine Indianerin. Ich mag Indianer, wirklich. Sie strahlen so eine fast überirdische Ruhe aus. Im Allgemeinen sind sie gutmütig und sehr kinderlieb. Im Übrigen bin ich absolut davon überzeugt, dass Jerry Commanda ein hervorragender Kriminalbeamterist. Dennoch hat es keinen Sinn, zu behaupten, es wären Leute wie Sie und ich.«
    »Nein, bei Gott nicht«, sagte Cardinal und meinte das auch so. »Das sind ganz andere Menschen.«
    »Die Familien sind in alle Winde zerstreut. Das Mädchen hätte überall zwischen Mattawa und Sault Sainte Marie sein können. Es gab keinen Grund, sie ausgerechnet in zugenagelten Bergwerksschächten mitten im See zu suchen.«
    Gründe hätte es genug gegeben, doch Cardinal ließ nichts verlauten. Er brauchte es nicht, weil er auf etwas viel Wichtigeres hinauswollte. »Die Sache mit dem Bergwerk auf Windigo Island ist eben, dass wir wirklich dort gesucht haben. In der Woche, in der Katie Pine als vermisst gemeldet wurde. Vier Tage später, um genau zu sein.«
    »Sie wollen damit sagen, sie sei irgendwo versteckt worden, ehe man sie umbrachte. Sie sei irgendwo gefangengehalten worden.«
    »Genau.« Cardinal verkniff sich den Drang, mehr zu sagen. Dyson taute langsam auf, und es war in Cardinals ureigenem Interesse, ihn dabei nicht zu stören. Der Brieföffner wurde erneut aus der Scheide befördert; eine herumliegende Büroklammer wurde aufgespießt, hochgehoben und zu einem Messingbehälter transportiert.
    »Selbst dann«, setzte Dyson seine Überlegung fort, »hätte sie auf der Stelle getötet worden sein können. Der Mörder hätte die Leiche irgendwo versteckt haben können, um sie dann an einen sichereren Platz zu bringen.«
    »Möglich. Die Gerichtsmediziner könnten uns in dieser Frage weiterhelfen – wir überführen die Überreste nach Toronto, sobald die Mutter informiert worden ist. Aber alles deutet auf langwierige Ermittlungen. Dazu brauche ich McLeod.«
    »Den kriegen Sie nicht. Der ist bei Gericht mit Corriveau beschäftigt. Sie können die Kollegin Delorme haben.«
    »Ich brauche McLeod. Die Delorme hat keine Erfahrung.«
    »Sie sind bloß voreingenommen, weil sie eine Frau ist, weil sie Frankokanadierin ist und weil sie, im Gegensatz zu Ihnen, die meiste Zeit ihres Lebens in Algonquin Bay verbracht hat. Sie können zwar auf zehn Jahre Toronto verweisen, aber Sie werden doch wohl nicht behaupten wollen, dass Delormes sechs Jahre als Sonderermittlerin keine Berufserfahrung darstellen.«
    »Ich will sie keineswegs schlecht machen. Sie hat bei den Ermittlungen gegen den Bürgermeister gute Arbeit geleistet, und auch in dem Betrugsfall bei der Schulbehörde. Lassen Sie sie doch in ihrer Domäne, Wirtschaftskriminalität, Beamtendelikte und das ganze heikle Zeug. Ich meine, wer würde sich sonst um diesen Bereich kümmern?«
    »Darüber brauchen Sie sich keine grauen Haare wachsen lassen. Ich kümmere mich schon um die Sonderermittlungen. Delorme ist eine gute Kriminalistin.«
    »Aber als Mordermittlerin hat sie keine Erfahrung. Gestern Nacht hätte sie beinahe ein wichtiges Indiz unbrauchbar gemacht.«
    »Das glaube ich nicht. Worauf spielen Sie an?«
    Cardinal berichtete ihm von der Plastiktüte. Es klang nicht sehr überzeugend, nicht einmal in seinen Ohren. Aber er wollte McLeod. McLeod verstand sich darauf, Dampf zu machen und einem Fall die nötige Aufmerksamkeit zu sichern.
    Stille trat ein. Dyson starrte auf die Wand hinter Cardinal. Er gab keinen Laut von sich. Cardinal sah hinaus in das Schneegestöber vor den Fensterscheiben. Später war er sich nicht sicher, ob das, was Dyson dann sagte, auf einem spontanen Einfall seines Chefs beruhte, oder ob es sich um einen wohlkalkulierten Überraschungsangriff handelte. »Sie fürchten doch nicht etwa, dass Delorme gegen Sie ermittelt?«
    »Nein, Sir.«
    »Gut. Dann schlage ich vor, dass Sie Ihr Französisch ein bisschen auffrischen.«
    *
    In den vierziger Jahren entdeckte man auf Windigo Island Nickelvorkommen, die mit Unterbrechungen zwölf Jahre lang abgebaut wurden. Die Mine war nie sehr rentabel, selbst in Spitzenzeiten arbeiteten dort nicht mehr als vierzig Bergleute. Auch erschwerte die Lage mitten im See den Transport des abgebauten Erzes. Mehr als ein Lastwagen brach durch das Eis, so dass am Ende Gerüchte umgingen, über der Mine laste der Fluch der gequälten Seele, der die Insel ihren Namen verdankte. Viele Anleger aus Algonquin Bay verloren bei
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