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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen
Autoren: Giles Blunt
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den
Toronto Star
. Er bot seiner Tochter eine Hälfte an, doch sie lehnte ab. Nun glaubte er, es wärebesser, ebenfalls nicht zu lesen. Wozu blieb er überhaupt, wenn er doch bloß Zeitung lesen wollte?
    »Du kennst deine Anschlüsse?«, fragte er sie. »Hast du auch genug Zeit, um von einem Flugsteig zum anderen zu kommen?«
    »Jede Menge. Ich habe anderthalb Stunden in Toronto.«
    »Das ist gar nicht so viel, wenn du noch durch den amerikanischen Zoll musst.«
    »Die winken mich immer durch. Wirklich, Daddy, ich sollte mich aufs Schmuggeln verlegen.«
    »Du hast mir erzählt, letztes Mal hat man dich angehalten. Du hättest beinahe deinen Anschluss verpasst.«
    »Ja, da hatte ich noch mal Glück. Der Zollbeamte war so ein bornierter Bürokrat, der mir unbedingt Schwierigkeiten machen wollte.«
    Cardinal sah die Szene vor sich. In mancher Hinsicht entwickelte sich Kelly zu der Sorte Frau, die ihm missfiel – zu schlagfertig, zu gebildet, zu selbstsicher.
    »Eigentlich verstehe ich nicht, wieso es keinen Direktflug von Toronto nach New Haven gibt.«
    »Na ja, es ist nicht unbedingt der Mittelpunkt des Universums, Lieber.«
    »Das nicht, aber immerhin gibt es dort eine der besten Universitäten der Welt.«
    Und die kostete ein Heidengeld. Als Kelly in York ihr Bachelor-Examen in Bildender Kunst bestanden hatte, hatte ihr Professor für Malerei sie ermuntert, sich in Yale um einen Postgraduiertenplatz zu bewerben. Kelly stellte daraufhin eine Mappe zusammen und schickte sie nach New Haven, ohne sich jedoch große Hoffnungen zu machen. Cardinal hatte anfangs mit dem Gedanken gespielt, ihr diese Idee auszureden, doch nicht lange. Yale ist die Kunsthochschule par excellence, Daddy. Alle Maler, die einen Namen haben, sind dort gewesen. Wer nicht nach Yale geht, kann gleich BWL studieren. Cardinal hatte sich gefragt, ob das wirklichstimmte. In seiner Vorstellung stand Yale für blasierte Snobs im Tennisdress; zum Beispiel für George Bush. Aber Malerei?
    Also hatte er sich umgehört. Es sei tatsächlich so, versicherten ihm Leute, die es wissen mussten. Wer sich in der internationalen Kunstszene – und die war gleichbedeutend mit der amerikanischen Kunstszene – hervortun wollte, der tat dies am besten mit einem Master-Abschluss von Yale.
    »Wirklich, Daddy, warum fährst du nicht nach Hause? Du brauchst hier nicht zu warten.«
    »Schon gut. Ich möchte es so.«
    Der junge Mann, der Kelly beim Koffertragen geholfen hatte, saß nun ihnen gegenüber. Wenn Cardinal jetzt ginge, würde sich der Bursche im nächsten Augenblick neben seine Tochter setzen. Ich bin doch ein eifersüchtiger alter Knacker, hielt er sich selbst vor, dass ich die Frauen in meinem Leben so ängstlich behüte. Mit seiner Frau Catherine war es genauso.
    »Schön, dass du nach Hause gekommen bist, Kelly. Und das noch mitten im Semester. Ich glaube, dass es deiner Mutter wirklich gutgetan hat.«
    »Meinst du? Schwer zu sagen, so geistesabwesend, wie sie im Augenblick wirkt.«
    »Ich weiß es.«
    »Arme Mama. Armer Papa. Ich weiß nicht, wie du das durchstehst. Schließlich bin ich die meiste Zeit weg, während du ständig damit leben musst.«
    »Da muss man eben durch. ›In guten wie in schlechten Tagen, in Zeiten der Freude und in der Not‹, du kennst ja den Spruch.«
    »Viele Leute halten sich nicht mehr daran. Ich weiß, dass du es tust. Aber Mama macht mir schon manchmal Angst. Es muss schwer sein für dich.«
    »Für sie ist es noch viel schwerer, Kelly.«
    Sie saßen schweigend nebeneinander. Der junge Mann holte einen Roman von Stephen King hervor; Cardinal tat, als würde er den
Toronto Star
lesen, und Kelly schaute hinaus auf die leere Landebahn,wo Schneeflocken im Licht der Scheinwerfer tanzten. Cardinal hoffte im Stillen, der Flug würde gestrichen und seine Tochter könnte noch ein, zwei Tage zu Hause bleiben. Doch Kelly hatte jedes Interesse an Algonquin Bay verloren. Wie hältst du es nur in diesem öden Kaff aus?, hatte sie ihren Vater mehr als einmal gefragt. In ihrem Alter hatte Cardinal genauso gedacht, doch nach zehn Jahren bei der Polizei in Toronto war ihm die Einsicht gekommen, dass dieses öde Nest, in dem er aufgewachsen war, seine Vorzüge hatte.
    Schließlich landete das Flugzeug, eine Propellermaschine vom Typ Dash 8 für dreißig Passagiere. In einer Viertelstunde würde es aufgetankt und für den Weiterflug bereit sein.
    »Hast du auch genug Bargeld? Wenn du nun in Toronto stecken bleibst?«
    »Du machst dir zu viel
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