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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen
Autoren: Giles Blunt
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suchten nach Worten, die helfen würden, einander wieder zu verstehen.
    »Zu Hause sind viele Blumen angekommen. Auch Grußkarten.«
    »Ja. Die Leute waren sehr aufmerksam.«
    »Ein Blumenschmuck wurde von einem Burschen mit Augenklappe überreicht. Er schien wegen dir sehr besorgt zu sein. Ich habe die dazugehörige Karte mitgebracht.« Sie holte eine große Karte mit Blumendekor aus ihrer Tasche. Auf der Karte stand der gefühlvolle Satz:
Wir sehen uns noch. Rick
.
    »Ein sehr mitfühlender Mensch, dieser Rick.« Nach einer Pause sagte Cardinal: »Ich nehme an, du hast meinen Brief nicht bekommen.«
    »Doch, habe ich. Und Kelly auch. Aber wir müssen jetzt nicht darüber reden.«
    »Wie hat es Kelly aufgenommen?«
    »Frag sie selber. Sie ist auf dem Weg nach Hause.«
    »Sie ist bestimmt sauer.«
    »Sie ist jetzt eher besorgt um dich. Aber ich fürchte, sie wird auch sauer sein.«
    »Ich habe das wirklich getan, Catherine. Und ich bedaure es sehr.«
    »Ich auch. Ja, das muss ich sagen. Ich bedaure es auch.«
    Sie schaute weg und überlegte, wie sie es ihm am besten sagen sollte. Draußen flog ein Schwarm lärmender Spatzen wie hochgeworfene Saatkörner vor einem strahlend blauen Himmel vorbei.
    »Ich bin traurig darüber, dass du etwas Unrechtes getan hast, John. Aber selbstverständlich denke ich nicht so über dich. Und ich bin traurig wegen des Kummers, den dir diese Tat bereiten muss. Aber etwas in mir – ich weiß, das klingt jetzt merkwürdig, John … John! Es ist so wunderbar, deinen Namen wieder auszusprechen und ihn nicht nur im Kopf zu haben, und hier neben dir zu sein! … Aber von dieser Freude einmal abgesehen, etwas in mir ist auch froh, dass du etwas Unrechtes getan hast.«
    »Catherine, das kann doch nicht dein Ernst sein. Was redest du da?«
    »Das hast du nie verstanden. Was du nie verstanden hast – wie könntest du auch? –, was du einfach nicht verstehen kannst, ist, ganz gleich wie schwer es für dich ist, mich als Klotz am Bein zu haben, auf mich wie ein Kind aufzupassen, dich mit der Krankenhausbürokratie auseinandersetzen zu müssen, ganz gleich wie schwer das alles zu ertragen ist, noch viel schwerer ist es, diejenige zu sein, der all diese Fürsorge gilt. Diejenige, die den anderenzur Last fällt. Sozusagen der Verlustposten in dem ganzen Betrieb.«
    »Ach, Catherine …«
    »Zu wissen, dass du etwas Unrechtes getan hast – ein wirkliches Vergehen –, dass du ein Chaos in unserem Leben verursacht hast … Nun, ich nehme einen langen Anlauf, bloß um dir zu sagen, wie schön es ist, gebraucht zu werden. Die Chance zu bekommen, auch einmal die Starke zu sein.«
    Cardinals Arzt kam herein, begrüßte ihn lautstark und stellte ihm Fragen. »Nein, nein, bleiben Sie ruhig«, sagte er zu Catherine, die gehen wollte. Er leuchtete Cardinal in die Pupillen. Bat ihn, aufrecht zu sitzen. Nötigte ihn sogar, ein paar Schritte zu gehen, was Cardinal, der sich wie ein Tattergreis am Bettgitter festhielt, unter höllischen Schmerzen im Unterleib auch tat.
    »Meine Güte, ich muss wieder ins Bett.«
    Der Arzt kritzelte etwas auf das Krankenblatt. »Eigentlich hätte ich Ihnen den Gehversuch ersparen können. Ich wollte nur sehen, ob es immer noch so wehtut, wie ich vermutet habe. Sie machen sich prächtig. Noch vier bis sechs Wochen, dann sind Sie wieder geheilt. Die Kugeln haben in Ihren Eingeweiden schwer gewütet.«
    »Sechs Wochen!«
    »Das wird Ihnen gut tun.« Zu Catherines Ermunterung zeigte der Arzt den aufrechten Daumen und unkte: »Einen großen Helden haben Sie da.« Dann steckte er das Krankenblatt weg und verließ das Zimmer genauso geräuschvoll, wie er es betreten hatte.
    »Mein Gott, einen Humor hat der Mann«, stöhnte Cardinal. »Der könnte ja glatt Polizist sein.« Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
    »Ich gehe jetzt wohl besser«, sagte Catherine. »Du bist weißer als das Bettlaken.«
    »Geh nicht, Catherine. Bleib bitte noch.«
    Und Catherine Cardinal blieb bei ihrem Mann. Blieb und wachte über ihn, wie er es geträumt hatte.
    Cardinal schloss die Augen. Er wollte sie fragen, ob sie trotzallem bei ihm bleiben würde, ob sie weiterhin mit ihm leben und glücklich mit ihm sein könne. Doch das Schmerzmittel füllte seinen Kopf wie ein dickes weiches Daunenkissen, und Cardinal fühlte, wie sich der Schlaf schwer auf Arme, Beine und Stirn legte. Er öffnete die Augen und sah Catherine neben sich sitzen. Sie trug jetzt ihre Brille und las in einem mitgebrachten Buch, um sich
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