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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen
Autoren: Giles Blunt
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Billy LaBelles Eltern zurück, denen sie mitgeteilt hatte, dass die Leiche ihres Sohnes gefunden worden war. Nun sah sie müde und blass aus. »Das war schrecklich«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt für die Arbeit im Morddezernat geeignet bin.«
    »Doch, das sind Sie. Ein anderer hätte die Leiche vielleicht nicht gefunden. Dann wären die LaBelles für den Rest ihres Lebens im Ungewissen darüber geblieben, was mit ihrem Sohn geschehen ist. So schrecklich es auch ist, nun können sie damit abschließen.«
    Delorme schwieg eine Zeit lang. Dann erhob sie sich und ging zur Tür, warf einen Blick in den Korridor und kam zurück. Sie zog ein Briefkuvert aus der Handtasche. »Neulich haben Sie nicht verstanden. Sie waren von den Medikamenten zu benebelt.«
    »Mein Brief an R. J. Um Gottes willen, Lise. Woher wussten Sie davon?«
    »Ich habe die Festplatte Ihres Computers durchsucht. Entschuldigen Sie, aber an dem Tag, als Ihnen die Sache mit Katie Pines Armband aufging, da habe ich gesehen, was Sie auf Ihrem Computer schrieben. Ich habe gesehen, dass das Schreiben an den Chef adressiert war. Er hat es nie zu Gesicht bekommen, John. Er ist vorübergehend in Dysons Büro umgezogen, und seine Post – na ja, seine Post ist zuerst in meine Hände geraten. Er wird Sie später besuchen kommen. Er macht sich Sorgen um Sie.«
    »Das hätten Sie nicht tun sollen, Lise. Wenn das vor Gericht herauskommt …«
    »Ein Gerichtsverfahren wird es nicht geben. Beide sind tot.«
    »Lise, Sie setzen Ihre Karriere aufs Spiel.«
    »Ich möchte nicht, dass ein guter Polizist seine Stelle verliert. Es war ein einmaliger Ausrutscher. Sie standen damals unter unglaublichem Druck. Schließlich gehörten Sie nicht einer korrupten Polizeitruppe an, die Angst und Schrecken auf den Straßen verbreitete. Ich habe darüber nachgedacht. Sie auffliegen zu lassen würde mehr Schaden als Nutzen bringen, das ist die schlichte Wahrheit. Außerdem gehört Toronto nicht zu meinem Zuständigkeitsbereich. Niemand hat mich beauftragt, meine Ermittlungen auf Toronto auszudehnen.«
    »Aber jetzt muss ich durch die ganze Sache noch mal durch.«
    »Das müssen Sie nicht. Sie müssen nicht einmal mehr daran denken.«
    Aber er wusste, dass er es doch tun würde – sobald die dämpfende Wirkung der Medikamente nachgelassen hatte, wenn er wieder zu Hause war und mitten in der Nacht aufwachte. Wenn er an etwas anderes denken konnte als an das Loch in seiner Hand und die Löcher in seinen Eingeweiden, dann würde er sich mit seinem eigenen, weit zurückliegenden Vergehen auseinandersetzen müssen.
    Für ihn war das nicht vorbei. Das war die Gestalt, die im Nebel lauerte. Und im Übrigen war R. J. nicht der Einzige, dem er geschrieben hatte.
    *
    Am folgenden Morgen wachte Cardinal in einem anderen Zimmer auf einer anderen Station auf. Sonnenlicht drang durch die Fenster herein, das spürte er, noch ehe er die Augen aufgeschlagen hatte. Durch die doppelten Fensterscheiben noch verstärkt, fiel warmes Licht auf seinen Arm. Es tat ihm gut, es wirkte heilsam. Er wollte wie eine Katze in der Sonne liegen bleiben und die Wärme aufsaugen. Schon wollte er sich strecken, doch wegen der Nähte im Bauch ließ er es schnell bleiben. Irgendwann merkte er auch,dass ihm jemand die Hand hielt. Eine kleine Hand lag weich und warm auf seiner.
    »Wie geht’s meinem verschlafenen Kater?«
    »Catherine?«
    »Ja, Schatz, leider. Die Ärzte haben mich entlassen.«
    Catherine saß auf der Bettkante, aber gar nicht wie ein Schutzengel. Ihre Augen strahlten keine heitere Seelenruhe aus, vielmehr waren sie scheu und besorgt. Auch bemerkte er, dass ihr rechtes Augenlid immer noch ein klein wenig herabhing, eine Nebenwirkung der Medikamente, die hartnäckig anhielt. Doch ihre allgemeine Unruhe hatte sich gelegt – die kreisenden Bewegungen der Hände waren verschwunden. Die Hand, die auf seiner lag, war ruhig.
    »Nein, ich bin nicht mehr verwirrt. Ich laufe jetzt auf Lithium-Basis wie das Raumschiff Enterprise. Entschuldigung, das klingt wie Science-Fiction, nicht wahr?«
    Sie trug das Barett, das er ihr geschenkt hatte. Selbst für diese kleine Geste fand er nicht die richtigen Worte, um seine Rührung auszudrücken. »Du siehst prima aus« war alles, was er zustande bekam.
    »Du siehst auch nicht übel aus. Vor allem für jemanden, der beinahe ertrunken wäre und zwei Kugeln in den Bauch bekommen hat.«
    Eine Weile sprachen sie nicht, sondern hielten sich nur an den Händen und
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