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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen
Autoren: Giles Blunt
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Sorte.
    Die Pistole schwebte über ihm. Cardinal krümmte sich zur Seite, als ob er die nächste Kugel mit seinen Rippen abwehrenkönnte. Dann gab es einen fürchterlichen Knall, und etwas Schweres traf Cardinal am Bein. Die Pistole war der Frau aus den Händen gefallen.
    Cardinal öffnete die Augen. Die Brust der Frau war blutüberströmt. Sie war zusammengezuckt, als hätte sie ihren Namen aus der Ferne rufen hören. Eine Hand schnellte zur Wunde an der Brust und betastete sie. Darauf verzog sie das Gesicht zu einer Grimasse des Ärgers, als stellte sie sich die gesalzene Rechnung der chemischen Reinigung vor.
    Sie ist tot, dachte Cardinal. Sie ist tot und weiß es noch gar nicht. Die Frau brach über ihm zusammen, ihre Brüste drückten auf seine Hüfte.
    Dann kniete Delorme über ihm. Lise Delorme kniete über ihm und sprach mit ihm in einer sanften Art, wie er selbst es gegenüber Opfern schrecklicher Unfälle getan hatte. Die Zähne zusammenbeißen, durchhalten. Billige Worte. Aber Delorme hatte etwas Weißes in den Händen – ein Kissenbezug, oder war es die Schlinge, in der sie den verletzten Arm trug? – und riss es energisch in Streifen.

59
    A uf der Intensivstation des St. Francis Hospital herrschten strengere Regeln als im City Hospital, wo Keith London behandelt wurde. Im St. Francis galt die eherne Regel: Kein Besuch außer von Familienangehörigen.
    Wie kam es dann, wunderte sich Cardinal, noch ganz benommen von den Schmerzmitteln, wie kam es, dass Arsenault und Collingwood in seinem Krankenzimmer gestanden hatten? Ja, Arsenault und Collingwood, und dann war Delorme gekommen, mit dem Arm in der Schlinge. Cardinal würde sie wegen der nicht einwandfreien Schießhaltung rügen müssen und dass sie die Schusshand nicht richtig mit der linken Hand abgestützt hatte. Darüber würde sie sich bestimmt mächtig aufregen.
    Delorme hatte ihm mit großem Ernst und unter dem Siegel der Verschwiegenheit ein verschlossenes Briefkuvert gezeigt. Er wusste, dass dies sehr bedeutsam war, aber halb betäubt, wie er war, konnte er sich keinen Reim darauf machen. Auf dem Briefkuvert erkannte er seine Handschrift. Aber warum hatte er an den Chef geschrieben?
    Und wie um alles in der Welt war McLeod hier hereingekommen? Lag McLeod nicht im Streckverband? Er war hereingehumpelt, hatte mit Krücken unter dem Arm neben dem Bett gehockt und ihm den Gipsverband mit dem schmutzigen Strumpf darüber unter die Nase gehalten. Und er hatte andere Besucher durch seine Sprache schockiert. Man hatte die Oberschwester holen müssen, die sich sehr ungehalten über ihn zeigte.
    Karen Steen war ebenfalls gekommen. Die sanfte junge Frau sprach ihm ihren Dank und ihr Mitgefühl aus, und das war Balsam für seine Seele. Sie hatte Cardinal einen Teddybären mit Polizeimütze mitgebracht; er roch noch ihr Parfum auf dem Plüschtier. Von Karens Besuch behielt er so viel, dass Keith London die Intensivstation verlassen durfte. Die Ärzte im City Hospitalsahen ihn auf dem Weg der Besserung. Er hatte das Bewusstsein wiedererlangt und sprach wieder, wenn auch langsam, besaß aber keine Erinnerung an die Ereignisse, die zu seiner Kopfverletzung geführt hatten. Karen hoffte, dass dies auch so bleiben werde.
    Oder hatte Delorme ihm den Bären mitgebracht? Unter dem Einfluss der Medikamente phantasierte er manchmal, der Bär würde mit ihm sprechen, aber er wusste, dass es in Wirklichkeit nicht so war. Nein, nein, Karen Steen hatte ihm den Bären geschenkt. Delorme war dafür zu kühl und sachlich, sie mochte keine Sentimentalitäten.
    »Sie kommen aus einer großen Familie, Mr. Cardinal.« Das hörte er von der jungen Krankenschwester, die hereinkam, um ihm eine Spritze zu verabreichen. Sie war ein bodenständiges Mädchen mit Zahnlücke und Sommersprossen.
    »Meine Familie? Meine Familie ist nicht sehr – ah!«
    »Entschuldigung. So. Schon fertig. Wenn Sie einen Augenblick auf der Seite liegen bleiben, mache ich gleich das Bett.« Sie machte sich am Bett zu schaffen, spannte die Laken und strich sie glatt. »Junge, Junge, der Rothaarige hat vielleicht ein Mundwerk«, plauderte sie weiter. »Zum Glück hat er der Oberschwester einen Blumenstrauß geschickt. Jetzt darf er wahrscheinlich sogar wiederkommen.« Sie drehte Cardinal auf die andere Seite, hob ihn hoch und drückte ihn zurück in die Kissen, alles mit der sorglosen Routine der professionellen Krankenschwester. Es tat ihm höllisch weh. »Er sieht Ihnen eigentlich überhaupt nicht ähnlich,
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