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Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Titel: Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
Autoren: Peter Asprion
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1*
    „Wenn du die Geschichte eines Verbrechen liesest,
    dann danke du mit deinem ehrlichen Gesichte
    dem gütigen Himmel,

    dass er nicht dich an den Anfang
    einer solchen Schicksalsserie gestellt hat.“

    Georg Christoph Lichtenberg

    Die „Geschichte eines Verbrechens“ erzählt in aller Regel unterschiedliche Wirklichkeiten. Je nach Erzähler, Zuhörer oderLeser wird die Darstellung andere Nuancen und Schwerpunkte bekommen. Während das Gericht die Wahrheit sucht und die Urteilsbegründung formal-rechtlichen Anforderungen standhalten muss, werden Verurteilte ein Interesse daran haben, ihre Geschichte so zu berichten, dass sie mit ihr „noch leben können“. Wenn hingegen die Medien über einen Fall berichten, dann so interessant und spannend, dass die Verkaufszahlen nach oben steigen.
    Vielleicht gilt für die Geschichte von Gerhard Kraus noch mehr als für viele andere, dass man keine der beteiligten Rollen einnehmen möchte.
    Eine erbärmliche Kindheit und Jugend
    Die biografischen Beschreibungen im Landgerichtsurteil gegen Gerhard Kraus fallen dürftig aus. Vielleicht wollten die Richter es gar nicht so genau wissen. Geboren als ältestes von vier Kindern im Nachkriegsdeutschland in einer süddeutschen Stadt. Der Vater arbeitet als Hilfsarbeiter, ist alkoholabhängig und schlägt die Mutter regelmäßig; die Anwesenheit der Kinder hält ihn hiervon nicht ab. Als der junge Gerhard fünf Jahre alt ist, wird der Vater wegen Diebstählen zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.
    Sexuelle Aufklärung findet durch praktischen Anschauungsunterricht der Eltern in Anwesenheit der Kinder statt. Da die Familie ihre Wohnung verwahrlosen lässt und auch auf entsprechende Anordnungen des Ordnungsamtes keine Besserung eintritt, wird sie in eine städtische Notunterkunft eingewiesen, die damals noch „Lager“ heißt.
    In der Schule ist der Junge von Anfang an auffällig; er schlägt andere Kinder und nimmt ihnen Dinge weg. Von seiner Intelligenz her wird er von den Lehrern als „zum oberen Bereich gehörend“ gesehen und in eine andere Schule umgeschult. Nachdem sich die Auffälligkeiten fortsetzen und die Eltern der Erziehung nicht gewachsen scheinen, ordnet daszuständige Amtsgericht zunächst die vorläufige, danach die endgültige Fürsorgeerziehung mit einer Unterbringung im Heim an.
    Erst in jüngster Zeit wird öffentlich darüber gesprochen, dass in der damaligen Zeit Heime, in denen Fürsorgeerziehung vollzogen wurde, eher Arbeitslagern glichen, in denen Prügel und Ausbeutung an der Tagesordnung waren, als dass fürsorglich erzogen worden wäre. Ein Geschädigter dieser Erziehungsmaßnahmen dürfte Gerhard Kraus sein. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in verschiedenen Heimen und einer Psychiatrischen Klinik, die ihn wegen seines Bettnässens behandeln sollte. Nach dem Ende der Volksschule, ohne Abschluss, beginnt Gerhard Kraus in einem neuen Heim eine Lehre als Schuhmacher, an der er laut Gericht kein Interesse zeigt. Im direkten Übergang aus dem Heim folgt die erste Inhaftierung im Jugendgefängnis.
    Gerhard Kraus sieht sich selbst
    „Natürlich hatte ich eine unglückliche Kindheit;
    eine glückliche Kindheit lohnt sich ja kaum.“

    Frank McCourt

    Billy Meyer, Supervisor und ehrenamtlicher Bewährungshelfer aus Basel, hat Gerhard Kraus im Frühjahr 2011 intensiv zu seinem Leben interviewt. Die Antworten, im Folgenden auszugsweise wiedergegeben, sind ruhig und unaufgeregt, beinahe unbekümmert. Erstaunlich die Ruhe, mit der Gerhard Kraus berichtet. Mit vielen inneren Verletzungen, die er als Kind erfahren hat, scheint er abgeschlossen zu haben:

    Wir konnten froh sein, dass wir nicht auf der Straße leben mussten
    Geboren bin ich, so hat es später geheißen, unter der Brücke. Gewohnt haben wir beim Vater von meinem Stiefvater. Daswar ein kleines Zimmer. Wir waren zu dritt. Und ein Jahr später ist meine Schwester dann noch geboren worden. Wir hatten auch noch ne kleine Küche mit zwei Herdplatten. Der Rest der Wohnung der Großeltern war schön groß. Wir sind uns nur ganz selten begegnet, obwohl die gleich nebendran gewohnt haben, weil die mit uns im großen Ganzen nichts zu tun haben wollten. Wir konnten froh sein, dass wir das Zimmer überhaupt gestellt gekriegt haben von ihnen, dass wir nicht auf der Straße gelebt haben.

    Mein Alter hat immer das Geld versoffen
    Meine Mutter konnte nicht arbeiten, weil ja meine Schwester und ich da waren. Der Alte ist arbeiten gegangen, hat als Dachdecker
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