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Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Titel: Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
Autoren: Peter Asprion
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ein aus der griechischen Mythologie stammender Begriff, der ursprünglich sogar mit positiven Aspekten behaftet war. Spätestens seit dem Mittelalter verbinden wir damit jedoch „böse Geister“. Der Psychologe Hain Omer 15 unterscheidet eine dämonische und eine tragische Weltsicht. Unter Dämonisierung versteht er „eine Form der Beschreibung einesanderen Menschen, die diesen in einem zunehmend negativ gefärbten Licht wahrnimmt, bis der andere zu einem ‚Monster‘ wird, das es zu bekämpfen gilt, gegen das man sich mit aller Macht wehren muss. Unter Dämonisierung verstehen wir also die Haltung einer Person oder einer Gruppe gegenüber einer anderen Person oder Gruppe. Sie beginnt vielleicht mit Zweifel, setzt sich mit Verdächtigungen fort, endet mit einer scheinbaren Gewissheit über die grundlegende Schlechtigkeit des anderen, aus der eine entschlossene feindselige oder militante Aktion resultiert.“ 16
    Letztlich erscheint Dämonisierung als ein Versuch des Menschen, für das Übel, das Schlechte, das Böse einen ursächlichen Grund zu finden, den man ausmerzen kann. Dem fielen Frauen als Hexen zum Opfer, und alle großen „Heilslehren“ fanden und erfanden entsprechende Figuren. Das Christentum bedient sich der Person Satans. Hat eine Dämonisierung einmal begonnen, wirkt sie wie ein Teufelskreis, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.
    Omer setzt dieser „dämonischen“ die „tragische Sicht“ auf die Welt entgegen, die akzeptiert, dass es Leid in vielfältiger Form in der Welt gibt und dass Hunger, Krankheit, Tod, Elend und Verbrechen ein immanenter Teil unserer Welt sind. Sie haben ebenso wenig einen „letzten Grund“ wie unsere Existenz selbst. Wir können diese Leiden akzeptieren und versuchen, sie zu begrenzen, wir können versuchen, Leidende zu trösten und zu unterstützen. Wir haben uns angewöhnt, nicht erklärbare Phänomene dämonisch zu erklären. Möglicherweise hilft uns das, mit Leid umzugehen. Wir sehen die Ursachen außerhalb unserer selbst und suchen einen Sündenbock. Jeder kann sich „auf der guten Seite“ fühlen. Deshalb nützt es uns, wenn die Seite des Dämonischen, des Bösen gut darstellbar da ist. Um uns noch abgrenzen zu können, darf es nicht zu viele „Sündenböcke“ geben. So gesehen erfüllt die Gruppe der verurteilten Sexualstraftäter diese Funktion in idealer Weise.
    So waren die entrüsteten Reaktionen kaum verwunderlich, als im Dezember 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Klage eines betroffenen Sicherungsverwahrten Recht gab und seine Verwahrung als einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention wertete. Die ersten Reaktionen fielen denn auch erwartungsgemäß negativ aus, passend zum dämonisierenden Weltbild: Solche Monster dürften nicht entlassen werden. Der Richterspruch aus Straßburg wurde für die deutsche Justiz als nicht bindend erklärt, und es wurde eine – aussichtslose – Revision eingelegt. Nachdem das Urteil trotz der Widerstände rechtskräftig war, schlossen sich auch deutsche Gerichte der Rechtsauffassung ihrer Straßburger Kollegen an und ordneten die sofortige Entlassung einiger Verwahrter an.
    Die betroffenen Verwahrten haben teilweise bis zu 35 Jahre ununterbrochene Gefangenschaft hinter sich. Fünf dieser Männer sind mir im Rahmen der angeordneten Führungsaufsicht unterstellt, und ich will am Beispiel von zweien folgenden Fragen nachgehen:
Was sind das für Menschen?
Wie sind sie geworden, wie sie sind?
Wie ist ihre Situation?
Wie wird mit ihnen umgegangen?
Gelten die Menschenrechte auch für diese Menschen?

Was sind das für Menschen?
    Wie werden Menschen zu dem, was sie sind? Eine Frage, die vielleicht nie beantwortet werden kann. Wir können manches erklären und werden stets von neuen Erkenntnissen widerlegt. Theoretisch ist diese Schwierigkeit mit den Konzepten der Autopoiesis und der nicht-trivialen Maschine am ehesten erfasst. Der Biologe Humberto Maturana 17 umschreibt mit dem Begriff der Autopoiesis die kreative Selbsterschaffung jedes Organismus. Unabhängig von außen entscheidet jeder Organismus, auch der Mensch, was er aus den gegebenen Möglichkeiten für sich und aus sich macht. Der Kybernetiker Heinz von Förster prägte den Begriff der „nicht-trivialen Maschine“, womit er einen Organismus bezeichnen wollte, der nicht im Voraus berechenbar ist; allein schon deshalb nicht, weil im Lauf der Zeit eine unbekannte Zahl von Einflüssen auf ihn einwirken.
    Gerhard Kraus
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