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Ganz oder gar nicht

Ganz oder gar nicht

Titel: Ganz oder gar nicht
Autoren: Alexandra Sellers
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blickte ihn mit großen Augen an. Plötzlich war Najib sich ihrer Zartheit und Schönheit sehr bewusst. Sie hatte eine sehr feminine Ausstrahlung, und er verstand, wieso Jamshid sie geheiratet hatte, obwohl er mit dem erbitterten Widerstand seines Großvaters hatte rechnen müssen.
    „Er hat es nicht beim Anwalt unserer Familie aufsetzen lassen, sicherlich, weil er noch nicht die richtigen Worte gefunden hatte, um unserem Großvater alles zu erklären", sagte Najib. „Er wandte sich an einen uns unbekannten Anwalt. Wir haben inzwischen erfahren, dass dieser ebenfalls ums Leben gekommen ist und seine Kanzlei zerstört wurde."
    Roslind erinnerte sich an die vielen Zeitungsberichte über die Bombardierungen und wie sie um Jamshids Land geweint hatte. Sie blinzelte und schüttelte den Kopf.
    „Jamshid hat eine Kopie des Testaments und der Heiratsurkunde in einem Banksafe deponiert, von dem wir allerdings auch nichts wussten, bis wir kürzlich ein Schreiben der Bank erhielten, weil das Konto, von dem die Safemiete für den abgebucht worden war, offenbar erschöpft war. Zweifellos hat Jamshid einen Schlüssel für dieses Bankfach bei dem Anwalt hinterlassen, der das Testament aufgesetzt hat, und ging davon aus, dass es im Falle seines Todes geöffnet werden würde."
    Rosalind presste die Lippen zusammen und senkte den Blick.
    Als sie ihn wieder hob, spielte ein zaghaftes Lächeln um ihre Lip pen, und plötzlich sah sie viel jünger aus. Der bittere Zug um ih ren Mund war verschwunden, und sie ähnelte jetzt mehr der fröhlichen Frau auf dem Foto, das Jamshid von ihr gemacht hatte.
    „Ich verstehe", flüsterte sie. „Das war also alles eine tragische ..." Erneut schüttelte sie den Kopf und blickte zur Decke. Sie schluckte schwer. „Ich wünschte, ich hätte das alles vor fünf Jahren gewusst."
    „Es war nicht Jamshids Schuld. Niemand konnte solch eine Verkettung tragischer Umstände voraussehen."
    Rosalind war wie betäubt. Fünf Jahre ihres Lebens hatte sie in einem Irrtum gelebt. Der Schmerz, von dem sie nicht gewusst hatte, dass er immer noch in ihr lebendig war, flammte wieder auf. Jamshid hatte sie gar nicht verlassen. Seine Liebe war nicht vorgetäuscht gewesen.
    Najib räusperte sich. „In dem Bankfach befand sich auch ein Brief Jamshids an meinen Großvater."
    „Was steht darin?" fragte sie atemlos.
    „Ich habe ihn dabei. Möchten Sie ihn lesen?" Er nahm den Brief aus der Aktentasche und reichte ihn ihr. „Sie verstehen Parvani, nicht wahr? Er hat das in seinem Brief erwähnt."
    Rosalinds Hand zitterte, als sie den Brief nahm. Die Schrift verschwamm ihr vor den Augen, und sie musste mehrmals blinzeln, um Jamshids letzte Botschaft lesen zu können, Großvater, zu meiner Beschämung muss ich gestehen, dass ich noch nicht den rechten Weg gefunden habe, um Dir und der Familie zu sagen, dass ich in England geheiratet habe. Ich weiß, Du wolltest, dass ich eine Frau von unserem Blut heirate, aber du wirst entzückt sein von Rosalind. Sie ist eine wunderbare Frau, die tapfer ihr Schicksal erträgt, und sie wird unserem Kind, das sie zu meiner großen Freude unter dem Herzen trägt, eine wunderbare Mutter sein. Wir glauben, es wird ein Junge.
    Sollte es Gottes Wille sein, dass ich von diesem Krieg nicht lebend zurückkehre und Du erst durch diesen Brief von meiner Heirat erfährst, vertraue ich darauf, dass ...
    Rosalinds Kehle war wie zugeschnürt. Sie ließ den Brief fallen und verbarg das Gesicht in den Händen. „Oh, ich wünschte, ich hätte es gewusst!" schluchzte sie. „Ich dachte, er hätte mich verraten.
    Ich dachte ..." Sie biss sich auf die Lippen und zwang sich zur Ruhe. „Er hat mich geliebt." Ihr versagte fast die Stimme. „Er hat mich wirklich geliebt."
    Der Fremde, dessen Augen so sehr denen Jamshids glichen, stand auf und setzte sich neben sie. „Ja, er muss Sie sehr geliebt haben."
    „Weshalb hat er seinem Großvater nicht gleich von mir erzählt?"
    „Mein Großvater musste in seinem Leben die schwersten Enttäuschungen erleben. Sein Lieblingsenkel verheiratet mit einer Engländern, das wäre ..." Er brach ab. „Vorerst trösten Sie sich damit, dass die letzten Gedanken Ihres Mannes Ihnen galten, bevor er in den Krieg zog. Ihnen und dem Kind."
    Der zärtliche Klang seiner tiefen Stimme brachte Rosalind um den letzten Rest ihrer Selbstkontrolle, und es erschien ihr plötzlich ganz natürlich, dass er den Arm um sie legte. Schließlich war er ja Jamshids Cousin. Sie legte den Kopf an
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