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Ganz oder gar nicht

Ganz oder gar nicht

Titel: Ganz oder gar nicht
Autoren: Alexandra Sellers
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seine Schulter und lie ß ihren Tränen freien Lauf.
    Najib strich über ihr honigblondes Haar. Wie tragisch, dass sie all die Jahre an der Liebe Jamshids gezweifelt hatte. Aber sein Cousin hatte gute Gründe gehabt, ihrem Großvater nichts von seiner Heirat zu sagen.
    Nur zu gut erinnerte er sich an den schrecklichen Zorn des alten Patriarchen, als Jamshid nach Hause gekommen war und erklärt hatte, in den Krieg ziehen zu wollen, um an der Seite Prinz Kavians zu kämpfen. Schließlich sei er als dessen Tafelgefährte im Land seiner Mutter groß geworden, hatte Jamshid erklärt. Deshalb habe er diesem Land gegenüber eine Pflicht zu erfüllen, wenn es sich als notwendig erweisen würde. Sein Großvater hatte ihn angeschrien, ihm gedroht und ihm erklärt, dass er auch eine Pflicht gegenüber seiner eigenen Familie habe und gegenüber dem Land seines Vaters.
    Der Zorn des Alten hatte wochenlang die ganze Familie in Atem gehalten. Die Invasion der feindlichen Truppen war immer näher gerückt. Jamshid war die ganze Zeit fest bei seinem Entschluss geblieben, während sämtliche diplomatischen Bemühungen fehlgeschlagen waren. Ganz sicher war das nicht der richtige Augenblick gewesen, um seinem Großvater auch noch zu erzählen, dass er eine Engländerin geheiratet hatte. Das hätte den alten Mann womöglich umgebracht.
    So war denn Jamshid, der Lieblingsenkel seines Großvaters und dessen designierter Nachfolger, unter einem Fluch in den Krieg gezogen. Wenige Wochen später hatten sie seinen leblosen, ausgemergelten Körper nach Hause zurückgebracht, wie einen Vorboten des noch größeren Grauens, das dieser Krieg nach Parvan bringen würde. Sein Großvater hatte diesen Schicksalsschlag nie überwunden. Die Veränderung, die mit ihm vorging, hatte sie alle sehr erschüttert. Sonst immer stark wie ein Baum, war er innerhalb einer Stunde ein gebrochener Mann gewesen.
    Rosalinds Brief musste in dieser Zeit auf ihn gewirkt haben wie ein endgültiger Vernichtungsschlag des Schicksals. Vielleicht wollte er sich auch unbewusst von seinem Schuldgefühl befreien, denn es war schrecklich, einen Mann zu verfluchen, der in den Krieg zog.
    Was für eine Tragödie, dass sein Großvater sich damals so sehr von seinen Gefühlen hatte überwältigen lassen! Wäre Rosalind bereits damals in die Familie aufgenommen worden, dann stünden sie und das Kind jetzt schon unter ihrem Schutz. Aber zum Glück hatte das Schicksal ihnen den Weg zu ihr gewiesen, und noch war es Zeit, etwas zu unternehmen.
    Najib hielt es für seine Aufgabe, Rosalind jetzt zu beschützen. Unwillkürlich legte er den Arm fester um sie, ließ sie jedoch im nächsten Moment rasch wieder los.
    Rosalind nahm ein Papiertaschentuch aus der Schachtel, die auf dem Tisch stand, und putzte sich die Nase. „Danke, dass Sie mir Ihre Schulter geliehen haben", murmelte sie.
    „Tut mir Leid, dass es fünf Jahr zu spät passiert."
    Rosalind zwang sich zu einem schwachen Lächeln. „Und was soll nun geschehen?"
    „Zuallererst sollte ich Ihnen wohl die wichtigsten Punkte von Jamshids Testament erläutern."
    „Gut."
    Najib kehrte zu seinem Sessel zurück und nahm das Testament zur Hand. „Jamshid hat Ihnen sein Apartment in Paris hin terlassen und eines in New York. Außerdem haben Sie lebenslanges Wohnrecht in seiner Villa in Ostbarakat, die später dem Kind gehören soll. Dann ist da noch ein Haus, das Sie treuhänderisch verwalten sollen bis zum einundzwanzigsten Geburtstag des Kindes. Außerdem gibt es noch einige Wertgegenstände sowie ein beträchtliches Einkommen aus verschiedenen Investitionen."
    Er erklärte kurz, worum es ging. „Glücklicherweise ist in den vergangenen Jahren nichts von all dem verkauft worden", fügte er noch hinzu. „Und die Auszahlung der aufgelaufenen Zinsen steht Ihnen selbstverständlich sofort zu."
    Rosalinds Staunen wuchs mit jedem Wort. „Und Jamshid hat das alles wirklich besessen?"
    Najib blickte Rosalind verwundert an. Konnte es sein, dass sie wirklich so unwissend war? Wenn Jamshid ihr tatsächlich nichts gesagt hatte, musste er verrückt gewesen sein. Aber man musste diese Frau nur ansehen, um zu verstehen, dass sie einen verrückt machen konnte.
    „Sein Vater sta rb, als Jamshid noch ein Baby war", erwiderte er. „Mit einundzwanzig erhielt er sein gesamtes Erbe. Ich habe mir erlaubt, Ihnen eines der Schmuckstücke zu bringen, das Teil Ihres Erbes ist."
    Er entnahm der Aktentasche einen kleinen Beutel aus dunkelrotem Samt. Schweigend
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