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Das Schwebebahn-Komplott

Das Schwebebahn-Komplott

Titel: Das Schwebebahn-Komplott
Autoren: Andreas Schmidt
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1. Kapitel
    Nächster Halt:
Hammerstein!« Verzerrt klang Hans Zochs Stimme durch die
Lautsprecheranlage der Schwebebahn, während er das Tempo des
Zuges konstant hielt. Soeben überquerte der orange-blaue
Lindwurm das Sonnborner Kreuz. Hell erleuchtet lag das bizarr
anmutende Betongebilde mit seinen vierundzwanzig Brücken links
neben der Schwebebahn. Auf der Autobahn floss der Verkehr
vorüber, während der grauhaarige Zugführer das
Geschehen aus der so genannten zweiten Ebene betrachtete. Mit
gemischten Gefühlen erinnerte er sich an die Zeit, als der
Verkehrsknotenpunkt entstanden war. Längst schon hatte man
vergessen, dass die architektonisch wertvolle Sonnborner Kirche der
Abrissbirne zum Opfer gefallen war, um den neuen Fahrspuren Platz
zu machen. Auch zahlreiche Menschen hatten ihre Häuser
verloren, da die Autobahn genau durch den kleinen Stadtteil
Sonnborn verlaufen sollte. Diese traurige Tatsache hatte man in der
damaligen Euphorie großzügigerweise
totgeschwiegen.
    Mit einem
unterdrückten Seufzer auf den Lippen glitt Hans Zochs Blick
über die Armaturen des Führerstandes. Alles in Ordnung -
eigentlich hatte er auch nichts anderes erwartet. Ein langweiliger
Spätdienst neigte sich dem Ende entgegen. In dieser lauen
Sommernacht war zwar halb Wuppertal auf den Beinen, doch verbrachte
man den wohlverdienten Feierabend lieber in einem gemütlichen
Biergarten als in einem miefigen Schwebebahnzug. Als der
Schwebebahnfahrer einen routinemäßigen Blick in den
großen Panoramaspiegel über seinem Kopf warf, entdeckte
er einen einsamen Mann mit ergrauten Schläfen. Er hockte in
sich zusammengesackt auf der letzten Bank und schlief tief und
fest. Der Mann wirkte irgendwie seriös in seinem Anzug, und
dennoch konnte Hans Zoch nicht umhin, ihn mit einem mitleidigen
Blick zu betrachten. Vermutlich war der Gute völlig betrunken.
Den Kopf auf
der Brust, die Arme verschränkt, schlief er in Zochs Bahn
seinen Rausch aus. Immerhin nahm kein anderer Fahrgast Notiz von
ihm. Zoch wusste nicht einmal, wann der Kerl im zerknitterten
Sommeranzug zugestiegen war. Irgendwann hatte er einfach in seiner
Schwebebahn gesessen. Wenigstens war er friedlich und randalierte
nicht, denn sonst hätte Zoch ihn an die frische Luft setzen
müssen. So aber würde er ihn bis zur Endstation Vohwinkel
mitnehmen, um ihn dort in eines der wartenden Taxis verfrachten zu
lassen. Eigentlich wirkte der Grauhaarige gar nicht wie jemand, der
sich regelmäßig zulaufen ließ. Der Mann kam Hans
Zoch bekannt vor. Es ging ihm wie schon hundertmal vorher: Er
kannte den Fahrgast, ohne zu wissen, woher. Immerhin nutzten
siebzigtausend Menschen pro Tag das Wuppertaler Wahrzeichen als
Transportmittel, und da konnte er sich unmöglich jedes Gesicht
merken.
    Früher war er als
Straßenbahnfahrer im Depot an der Uellendahler Straße
stationiert gewesen. Nachdem die altmodische Wagenhalle geschlossen
worden war, wurde er nach Heckinghausen versetzt. Für Hans
Zoch durchaus von Vorteil, da er von nun an zu Fuß zur Arbeit
gehen konnte. Sein ganzer Stolz war das Häuschen am
Hammesberger Weg, das er mit seiner Hilde von den Ersparnissen
gekauft hatte, um den beiden Kindern ein Heim im Grünen bieten
zu können. Die kleine Welt war bis zu dem Tag in Ordnung
gewesen, an dem die Stadtwerke die Stilllegung des kompletten
Wuppertaler Straßenbahnnetzes beschlossen hatten. Die
Züge waren hoffnungslos veraltet und mussten dringend erneuert
werden. Auch das Schienennetz war störanfällig geworden
und hätte einer Überholung bedurft - ein aus
kaufmännischer Sicht unsinniges Unterfangen. Sogar der Kauf
einiger gebrauchter Bahnen aus Dortmund brachte nur einen Aufschub.
So kam es, wie es kommen musste: Nach unzähligen Ratssitzungen
beschloss man, dass die definitiv letzte Straßenbahn in der
Nacht zum 31. Mai 1987 über die brüchige Tal-Achse
rumpeln sollte. Das bestehende Liniennetz wurde fortan von einer
Flotte nagelneu angeschaffter Gelenkbusse bedient. Hans Zoch kam
sich plötzlich überflüssig vor. Er schien am Ende
seiner beruflichen Laufbahn angelangt zu sein, und nur ungern
erinnerte er sich an diese Zeit. Er hatte zu oft und zu viel
getrunken.
    Zwar hatte man ihm
eine Stelle als Busfahrer in der neuen Nächstebrecker
Wagenhalle angeboten, den Vorschlag aber rasch zurückgezogen,
als man von seinen Alkoholproblemen erfuhr. Außerdem
wäre es nie sein Ding gewesen, einen überfüllten
Linienbus durch die engen Straßenschluchten von Wuppertal zu
quälen.
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