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Das Schwebebahn-Komplott

Das Schwebebahn-Komplott

Titel: Das Schwebebahn-Komplott
Autoren: Andreas Schmidt
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erst, als er um ein Haar auf
einen langsam vor ihm herfahrenden Wagen aufgefahren wäre, der
einen freien Parkplatz zwischen den Schwebebahnpfeilern suchte. Der
BMW geriet ins Schlingern. Zoch vernahm das Kreischen der Reifen
bis in den Führerstand der Bahn. »Idiot«, brummte
er und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Was gingen ihn die
Streitigkeiten anderer Leute an?
    Die Haltestelle Bruch
kam in Sichtweite, und Zoch drosselte das Tempo, als die Bahn in
die menschenleere Station einlief. Auch hier konnte sich der
Betrunkene von der letzten Bank nicht dazu aufraffen, endlich
auszusteigen.
    »Also doch ein
Taxi an der Endstation«, murmelte Zoch Gott ergeben und
rollte mit den Augen. In wenigen Minuten hatte er Dienstschluss,
sollten sich doch andere um den Heini kümmern! Seelisch
bereitete er sich schon auf einen gemütlichen Feierabend auf
der Terrasse seines Häuschens vor, träumte von einem
kühlen Bier und einem kleinen Plausch mit seiner Hilda, die
ihn sicherlich schon erwartete. Morgen hatte er frei; da würde
er nach Dormagen fahren, zum Angeln.
    Der Zug rollte in die
Endstation Vohwinkel ein. Ein leiser Seufzer der Zufriedenheit kam
über Zochs Lippen, als er die weinrote Krawatte über dem
hellblauen Diensthemd mit der pedantischen Bügelfalte
zurechtrückte. Brav wies er seine letzten Fahrgäste
darauf hin, dass hier Endstation sei und jeder die Güte haben
möge auszusteigen. Eigentlich überflüssig, da jeder
Wuppertaler wusste, dass die Schwebebahn hier den letzten Halt
einlegte. Hinter der engen Wendeschleife erkannte er im
gleißenden Lichtschein die Wagenhalle. Zoch sah in Reih und
Glied aufgereihte Züge, die bereitstanden für den
nächsten Tag, frisch gewaschen und gewartet, denn Sicherheit
wurde groß geschrieben bei den Stadtwerken. Immerhin galt die
Wuppertaler Schwebebahn als das sicherste Verkehrsmittel der Welt,
und das sollte auch so
bleiben.          
    Mit einem
wehmütigen Stich im Herzen erinnerte er sich an den Absturz
einer Bahn im April 1999, bei dem fünf Menschen ums Leben
gekommen waren. Fast fünfzig Verletzte waren zu beklagen
gewesen. Infolge des Vorfalls wurde die Strategie, das alte
Gerüst der Bahn nur am Wochenende auszutauschen - und dann
unter immensem Zeitdruck -, von zahlreichen Stellen kritisiert.
Hans Zoch bekam eine Gänsehaut, denn eigentlich hätte er
an diesem schwarzen Montag die erste Bahn fahren sollen. Er hatte
sich am Wochenende den Magen verdorben und war nicht vom stillen
Örtchen gekommen. Glück im Unglück, denn den
Kollegen, der ihn vertreten hatte, hatte er wahrlich nicht
beneidet. Abgesehen davon, dass der Fahrer der
Unglücksbahn im Krankenhaus gelandet war, hatte man ihm
zunächst vorgeworfen, er hätte die Kralle, welche den
Unfall verursacht hatte, sehen müssen. Dieser Vorwurf hatte
sich glücklicherweise nicht sehr lange halten lassen, denn
immerhin war es zu diesem Zeitpunkt dunkel gewesen. So war die
Schwebahn gegen die Kralle gefahren, als wäre sie auf einen
Rammbock aufgelaufen. Das erste der vier Leitwerke auf dem Dach war
abgerissen worden und hatte dadurch das Unglück
besiegelt.
    Zoch dachte nicht gern
an diese Schicksalsfügung, wehrte sich aber dagegen, dass man
das tragischste aller Ereignisse einfach totschwieg und
verdrängte. Er schüttelte stumm den Kopf und versuchte in
die Gegenwart zurückzukehren.
    Ein letztes Mal in
dieser Schicht beobachtete Zoch über den kleinen Monitor, wie
die Fahrgäste seine Bahn mehr oder weniger eilig, jedenfalls
ohne sich noch um weitere Mitfahrende zu kümmern,
verließen. 
    Nur einer stieg nicht
aus.
    Der
Betrunkene.
    Hans Zoch zerquetschte
einen Fluch auf den Lippen. Ruckartig sprang er vom Fahrerstand auf
und öffnete die halbhohe Tür, die seinen Stand vom
Fahrgastraum abtrennte. Mit langen Schritten stürmte er nach
hinten.
    »He Mann, hier
ist Endstation!«, rief er schon vom Gelenk des Zuges aus. Er
erhielt keine Reaktion. Der Anzugträger schlummerte tief und
fest.
    »Mein Gott, ist
der voll«, murmelte Zoch und beeilte sich, das Heck der Bahn
zu erreichen. Ihm blieb nicht viel Zeit, den unliebsamen Fahrgast
an die frische Luft zu setzen, denn er blockierte den Bahnsteig.
Solange er sich in der Station aufhielt, wurde die Strecke hinter
ihm gesperrt, sodass die folgende Bahn vom Leitstand aus gestoppt
wurde. Also musste Zoch rasch die Strecke räumen, sonst gab es
wegen ihm Verzug im nachfolgenden Verkehr der Schwebebahn.
Das war ihm in
all den vielen Dienstjahren noch nie
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