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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Autoren: Dennis Gastmann
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Auf dem Rückweg nach Buxtehude erfasste sie ein Mitsubishi. Ich weiß nicht, wie oft wir so einen Scheiß in meiner Heimat erleben mussten. Auch ich verlor einen Kumpel auf der Landstraße. Dominik, der mir zu meinem achtzehnten Geburtstag einen Joint schenkte, saß bekifft am Steuer und meinte, er müsste mit seinem Mini-Cooper einen Sattelschlepper überholen.
    Der Tod gehört zu Norddeutschland wie die Krabbenkutter, die Shantychöre und der andere Küstenkitsch. Doch so morbide wie heute habe ich das Land selten erlebt. Wer geht zu dieser Jahreszeit auch wandern? Und vor allem: Wie masochistisch und lebensmüde muss man veranlagt sein, um ausgerechnet durch diese Gegend zu flanieren? Die Bauern scheinen das Gleiche zu denken. Sie sehen mich an, als käme ich vom Mars.
    Es ist mittlerweile früher Nachmittag, und ich habe zwanzig Kilometer geschafft, fünf pro Stunde, mehr ist nicht drin. Noch immer quetsche ich mich den Seitenstreifen entlang und bete, dass mich niemand übersieht. Jedes Mal, wenn ein Auto nur knapp an mir vorbeirast, streiche ich mit der Hand über zwei Glücksbringer in meiner linken Brusttasche: einen marineblauen Lapislazuli, den ich seit meiner Kindheit bei mir trage (nach dem chinesischen Horoskop soll er mein persönlicher Glücksstein sein), und ein kleines, japanisches Amulett, das ich zusammen mit Daruma, meinem Kobold, geschenkt bekommen habe. Es sorgt angeblich für Sicherheit im Straßenverkehr und seltsamerweise auch für Erfolg in der Schule.
    Meine Fußsohlen machen mir Sorgen. So langsam fühlen sie sich an, als hätte ich Kieselsteine im Schuh. Aber ich will nicht jammern, schließlich habe ich es so gewollt. Na ja, ein bisschen jammern möchte ich doch, denn leider habe ich noch dazu meine Mettbrötchen und die letzten Müsliriegel von gestern schon verputzt. Wahnsinn, was mein Körper so verfeuert. Ich bin eine Dampflok, wenn ich keine Briketts nachwerfe, ist der Ofen aus. Eigentlich dachte ich, man könnte auf dem Dorf gut essen, doch bisher waren alle Gaststätten auf dem Weg geschlossen. Vor dem «Kiek mol in – der Treff für nette Leute» stehen Autowracks, und das Lokal «Zur Post» in Wangersen hat Ruhetag.
    Vielleicht ist das in diesem Fall auch besser so. Angeblich soll der Gasthof ein beliebter Neonazi-Treffpunkt sein. Dem braunen Gesocks gefällt es in der Einöde offenbar ganz gut. Wangersen wird deshalb vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet, und so geistert der Ort immer mal wieder durch die Presse. Ein Grabstein auf dem Dorffriedhof ist sogar bundesweit berühmt geworden, denn seine spiegelblank polierte Oberfläche ziert ein blitzsauberes Hakenkreuz – seit 1941 und völlig unbehelligt bis heute. Niemand in Wangersen scheint sich daran zu stören. Vor vier Jahren entdeckte ein Spaziergänger das verbotene Zeichen und erstattete Anzeige, genützt hat es nichts. Die Rechtslage ist schwierig. Eigentlich müssen Nazisymbole im öffentlichen Raum entfernt werden, doch dieses Grab ist in privaten Händen. Nicht ganz zufällig gehört es einem NPD-Politiker. Der Mann sitzt im Gemeinderat, ist hochangesehen und denkt nicht im Leben daran, das Hakenkreuz zu beseitigen. Die Ruhestätte seines Vaters sei schließlich eine der schönsten und gepflegtesten.
    Immerhin ist in Wangersen mal was los, wenn die Medien einfallen, denn ansonsten ernüchtert der Blick auf den Veranstaltungskalender eher:
    März
    13. 03. Jahreshauptversammlung Heimatverein
    20. 03. Blutspenden
    24. 03. Müllsammeln
    26. 03. Seniorennachmittag
    Weitere Highlights des Jahres: das Feuerwehrfest am vierten und fünften Mai, Schulfaustball am siebten Juni und Kniffeln am zweiten Oktober. Man muss ja nicht gleich Nazi werden, aber was soll man in dieser Gegend auch machen – außer saufen, schießen oder vögeln?
    Essen ist der Sex des Wanderers, und ich schleppe mich hungrig von Dorf zu Dorf. Nach fünfundzwanzig Kilometern brennen die Fußsohlen, nach dreißig Kilometern verziehe ich bei jedem Schritt das Gesicht, und nach fünfunddreißig Kilometern setze ich mich hin. Zum ersten Mal an diesem Tag. Irgendwie war ich der Meinung, ich könnte sieben, acht Stunden nonstop durchlaufen. Als ich mich wieder aufrichten will, blockieren meine Oberschenkel. Es ist, als würde Blitzeis in meine Muskeln fahren. Auch die Waden verkrampfen, versteifen und verhärten sich so sehr, dass ich sie nur unter großen Schmerzen bewegen kann. Gehören diese Beine überhaupt noch mir? Sie fühlen sich an wie
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