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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Autoren: Dennis Gastmann
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endlich! Doch Zwerg Pickenpack zögerte. Eine Ecke für Buxtehude bedeutete Gefahr fürs eigene Tor: Wie schnell hätten die Wandsbeker einen Konter fahren können, und dann, ja dann wäre es mit dem süßen Traum vom Aufstieg vielleicht vorbei gewesen.
    Was machte das Männlein also? Es drehte sich nach rechts und schoss den Ball auf den Grill einer Bratwurstbude. Der Schiedsrichter pfiff, ließ den Zwerg zu sich holen und sagte: «Pickenpack, dafür hätten Sie Rot verdient. Aber ich kenne Sie einfach schon zu lange: Gratulation.» Und so feierten die Buxtehuder die ganze Nacht und blieben glücklich bis an ihr Lebensende.
    Dieser Pickenpack ist übrigens bis heute mein großes journalistisches Vorbild. Zu Studentenzeiten jobbte ich beim Sat.1-Videotext, tippte die Sportnachrichten der Seiten 210 bis 219, und mein Redakteur, die Legende von Buxtehude, erfand die lustigsten Überschriften dazu. Als der Tunesier Adel Sellimi zum SC Freiburg wechselte, titelte das Männlein: «Adel verpflichtet».

    Offenbar werden die großen Geschichten des Sports in Buxtehude geschrieben. An meinem zweiten Wandermorgen entdecke ich ein Straßenschild, das mich wirklich überrascht: «Wettloopsweg – Dat Wettlopen twischen den Hasen un den Swinegel up de lütje Heide bi Buxtehude». Auf einem Acker in der Nähe soll sich also die Rallye zwischen Hase und Igel ereignet haben. Können die Buxtehuder darauf wirklich stolz sein? Der Rammler macht sich über die krummen Beine des Igels lustig, und der Igel fordert ihn zu einem Wettrennen heraus. Es geht um ein Goldstück und eine Flasche Branntwein. Der Igel wetzt nur ein paar Schritte und lässt den Hasen dann davonlaufen, denn am Ende der Furche hat er seine Frau postiert, die ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. Kein Wunder, der Genpool auf dem Land ist arg begrenzt. «Ick bün al dor!», ruft sie, als der Hase das Ziel erreicht. Natürlich kann das Langohr seine Niederlage nicht fassen und fordert immer wieder Revanche. Geschlagene vierundsiebzig Mal sprintet der Hoppelhase hin und her, bis er tot zusammenbricht.
    Was sollen uns diese Provinzgeschichten sagen? Negativ formuliert: Wer bescheißt, gewinnt. Positiv formuliert: Was man im Kopf hat, braucht man nicht in den Beinen. Allerdings helfen mir beide Weisheiten auf meinem Weg nach Canossa wenig. Ich möchte nicht mogeln, und ich habe es satt, mein Gehirn anzustrengen, in meinem Kopf ist ständig Disco, das macht mich verrückt. Ich will mich auspowern, ich will mich plagen, ich will so lange marschieren, bis alle Fragen, alle Sorgen und alle Zweifel zwischen mir und dem Universum geklärt sind.
    Gestern Abend schien ein riesiger Vollmond über den Fachwerkhäusern von Buxtehude. Ich fand ein Hotel am Stadtrand und bekam ein kleines Zimmer im Keller des Hauses. Es roch etwas modrig, nach feuchter Wäsche und verstaubten Gardinen, doch zum Frühstück gab es Zwiebelmett. Wie sehr ich diesen fabelhaften Brotaufstrich doch liebe. Die gute alte Maurermarmelade. Meine ersten zwanzig Kilometer zu Fuß habe ich gut überstanden, mal abgesehen von zwei Blutergüssen an den Hüften – der Bauchspeck hatte sich zwischen Gürtel und Rucksack eingeklemmt. Gut, dass ich jetzt zum ersten Mal in meinem Leben regelmäßig Sport treiben werde. Ansonsten keine Blasen, wenig Muskelkater und viel Motivation: Heute möchte ich die doppelte Distanz schaffen.
    Meine zweite Etappe führt über siebenunddreißig Kilometer quer durchs wilde Niedersachsen bis nach Zeven im Kreis Rotenburg/Wümme. Der dopende Ex-Tour-de-France-Fahrer Udo Bölts würde sagen: Quäl dich, du Sau! Allerdings komme ich nicht so recht in die Gänge, die Buxtehuder Straßen sind wie ein verwunschener Irrgarten, ich finde einfach nicht heraus. Mein gesunder Menschenverstand versagt, und das Navigationssystem auf meinem Handy führt mich nicht ans Ziel, sondern nur zum «Bestattungsinstitut & Trauerhaus Holger Ringel» im Brillenburgsweg. Feuerbestattung ab 1622 Euro, Erdbestattung ab 2055 Euro, Seebestattung ab 1690 Euro und Friedwaldbestattung ab 1955 Euro, keine versteckten Kosten. Es ist mir etwas peinlich, aber immer wieder stiefle ich im Kreis und lande aufs Neue beim «Bestatter mit Herz». Ein schlechtes Omen? Vielleicht.
    Als ich nach einer Stunde endlich den Ortsausgang erreiche, begrüßt mich ein armes, plattgefahrenes Eichhörnchen. Ein blitzsauberer Roadkill. Auch sonst erinnert alles an texanische Tristesse. Die Welt besteht nur noch aus zwei Farben: Der Himmel ist
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