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Galgeninsel

Galgeninsel

Titel: Galgeninsel
Autoren: Jakob Maria Soedher
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Mädchen zu und verließ das Haus.
     
    »Polizei?«, fragte Nora ihre Mutter, einige Sekunden nachdem Schielin die Tür hinter sich zugezogen hatte.
    Anna Kandras stand ihrer Tochter gegenüber und nickte stumm.
    »Er ist tot, oder?« sagte Nora mit leiser Stimme.
    Ihre Mutter ging einen Schritt auf sie zu. »Wie kommst du denn darauf?«
    Nora schwieg und sah ihr ernst in die Augen.
    Anna Kandras stellte sich dicht vor sie und zog sie vorsichtig an den Schultern zu sich heran. Hatte sie vielleicht dem Gespräch auf der Terrasse gelauscht? Nora drehte ihren Kopf zur Seite und lehnte ihre Wange an die Schulter ihrer Mutter. So blieben sie eine ganze Weile stehen, ohne ein Wort miteinander zu wechseln.
    »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, flüsterte Anna Kandras leise und strich ihr sanft über den Kopf. Als sie kurz darauf das ihr bekannte Motorengeräusch von draußen hörte, hob sie den Kopf ihrer Tochter zart an. »Geh bitte wieder nach oben, ja.«
    Nora folgte, ohne das Bewusstsein dafür zu haben, dass sie folgte; wie Wasser, das dem Flussbett folgte.
     
    Schielin war zu seinem Auto gegangen und einmal um den Block gefahren. Dann parkte er in einer geeigneten Hofeinfahrt, von wo aus er den Eingang zu Anna Kandras Haus beobachten konnte. Er wollte wissen, für wen die offen stehende Tür gedacht war, wen sie erwartet hatte. Die Sonne erzeugte innerhalb von Minuten saunawürdige Temperaturen im alten BMW. Das Leiden hielt sich dennoch in Grenzen, denn bald bog eine schwarze S-Klasse mit äußerst auffälligen Alufelgen um die Ecke. Ein hochgewachsener, schlaksiger Mann in dunkelgrauem Anzug enthob sich umständlich dem Wagen. Schielin musste nicht lange herumraten. Das Lindauer Kennzeichen trug die Kürzel A und K. Das konnte eigentlich nur Dr. Arnulf Kehrenbroich sein. Der ging zielstrebig zum Eingang des Hauses, benötigte keine suchenden Blicke. Er kannte sich also aus.
    »So sehen also die geschäftlichen Verbindungen aus. Gemeinsamer Bekanntenkreis«, murmelte Schielin und zog seinen Kopf zurück. Schielin rief kurzerhand in der Bank an. Er bat Kehrenbroichs Sekretärin, ihn doch schnell mit dem Chef zu verbinden, da er eine dringende Frage hätte, die er auch telefonisch beantworten konnte.
    Sie wimmelte gut ab, log professionell, mit freundlicher, warmer und ruhiger Stimme; Kehrenbroich sei noch in einer Besprechung. Schielin grinste. Eine loyale Angestellte. Er würde ihr nichts glauben können, käme es dazu, sie zu vernehmen.
    Schau an mein Lieber, dachte Schielin, das ist also die Besprechung, welche Kehrenbroich so unabkömmlich machte. Was mochte Anna Kandras und diesen Banker wohl wirklich verbinden? Und aus welchem Grund musste Kehrenbroich sich so dringend mit ihr unterhalten, noch vor dem Gespräch mit ihm? Und auch noch persönlich. War den beiden das Telefon zu unsicher?
    *
    Er fuhr los und am Aeschacher Kreisverkehr zog es ihn wie magisch rechter Hand in Richtung Langenweg, und von dort hinunter zu den Bahngleisen und weiter zur Insel. Was sollte er jetzt auch auf der Dienststelle tun. Lydia war eh nicht im Büro und damit blieb bedauerlicher Weise die Möglichkeit versagt, den mageren Wissensstand zu bequatschen. So fügte er sich in den der frühen Saison entsprechend dichten Verkehr ein, und stoppte mehr als dass er fuhr, der Insel entgegen. Wenigstens blieben die Schranken offen. Endlich angekommen, stellte er den BMW im Halteverbot vor dem Bahnhof ab. Das garantierte den kürzesten Fußweg in den Hafen, wo einige Busladungen aufgeregter Ausflügler im Hauptdeck der Karlsruhe verschwanden. Schielin sah nach oben zur Brücke, in der Hoffnung Wolfram zu entdecken, doch das Gesicht, das er hinter den spiegelnden Scheiben der Führerkabine erkennen konnte, war ihm fremd. Er folgte weiter dem Hafenbecken, nahm die Parade der Hotelreihe ab und tauchte ein in die Geräuschwelten des Hafens – dem hysterischen Kreischen der Möwen, dem dumpfen Tuckern der Schiffsdiesel, dazwischen Kindergeschrei, Musikfetzen aus Cafés, Klappern und Klirren von Geschirr und Gläsern und ab und an das Wischen eines Windzuges am Ohr. Und darüber wie darunter, hörbar oder nicht, immer das Walzen des Sees.
    Er fühlte Leichtigkeit. Auf ihn wirkte diese tönende Lebhaftigkeit keinesfalls hektisch. Sie vermittelte vielmehr ein wohliges Gefühl von Unbeschwertheit – ein paar Minuten Urlaub. So wir er die Stille brauchte und suchte, das Naturerleben, so gierte er auch nach diesen Spaziergängen durch den Hafen
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