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Einmal Himmelblau und zurueck

Einmal Himmelblau und zurueck

Titel: Einmal Himmelblau und zurueck
Autoren: Andrea Bielfeldt
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        Herzlich Willkommen
    »Hey Schätzchen! Gib mir mal zwei mit Amaretto und einen mit Rum.«
    Unter einer roten Weihnachtsmütze quellen ein paar glasige Augen hervor. Die Pupillen erinnern mich an zwei lose am Faden hängende Knöpfe, was eindeutig an zu viel Glühwein mit Amaretto oder Rum liegt. Bitte heißt das , denke ich und schüttele genervt, aber für ihn unmerklich den Kopf.
    Nikki, die in der anderen Ecke der Punschbude steht, kichert vor sich hin. Der Schalk blitzt aus ihren Augen und ich verstehe genau, was sie mir ohne Worte sagen will: Sieh zu, wie du aus der Nummer wieder rauskommst.
    Klasse. Vielen Dank.
    Ich setze mein bestes Glühweinlächeln auf und ziehe mit zu viel Schwung drei frische Becher aus dem Wärmeschrank. Sie knallen auf den Tresen, dass die Deko wackelt.
    »Zwei Amaretto, einen mit Rum?«, frage ich honigsüß noch einmal nach. Dass das Lächeln meine Augen nicht erreicht, merkt der Schnösel mir gegenüber gar nicht. Er nickt mit offenem Mund und versucht es nochmal anders:
    »Süße, wie wär’s denn mit uns beiden? Heute Abend schon was vor?«, säuselt er mir entgegen und bohrt sich mit der Zunge in der Wangentasche herum. Mir wird schlecht.
    »Ja. Kräftig zubeißen«, gebe ich zurück, ohne zu überlegen. Was bildet der sich eigentlich ein? Ich bin doch kein Freiwild, nur weil ich hinterm Tresen stehe. Und dabei stecken meine Beine nicht mal in High Heels und einem kurzen Rock, sondern in Skihose und Boots. Blödmann!
    Hinter ihm grölen seine Kumpanen und stoßen ungeduldige Rufe, gepaart mit höhnischem Gelächter aus: »Ey Mike, keine Schnitte bei der Kleinen, was?« Er winkt ab. Mit seiner prall gefüllten Brieftasche in der Hand lehnt er auf der anderen Seite vom Tresen und mustert mich von oben bis unten. Ich spüre seine Blicke im Rücken, merke, wie er mich damit auszieht. Es schüttelt mich und ungesehen strecke ich die Zunge raus und rolle mit den Augen. Nikki will sich wegschmeißen vor Lachen. Ich verkneife es mir.
    Einundzwanzig, zweiundzwanzig , …, zähle ich stumm, während ich die Becher befülle.
    »Macht neun Euro, bitte«, sage ich so höflich wie möglich, als ich ihm die Getränke hinüberreiche. Obwohl mein Kontingent an Freundlichkeit nach der Nummer fast aufgebraucht ist, wahre ich die Etikette. Und als er mir auch noch einen Luftkuss zuhaucht, fällt mir das extrem schwer.
    Nur die Vorstellung, dass jeder irgendwann kriegt, was er verdient, hält mich davon ab, über den Tresen zu stürmen und ihm mit dem nackten Arsch ins Gesicht zu springen.
    Er schiebt mir gönnerhaft einen Zehner rüber. »Stimmt so.«
    »Dankeschön«, flöte ich zuckersüß, deute einen Knicks an und denke mir meinen Teil. Idiot!
    Ich schnappe mir das Leergut von der Theke und mache mich an den Abwasch. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich mich nur noch eine Stunde mit solchen Schwachköpfen abgeben muss. Dann ist endlich Wochenende.
    Es ist Samstagabend, einundzwanzig Uhr. Morgen ist mein freier Tag. Ich freue mich wie blöd darauf und nehme mir vor, den ganzen Sonntag nichts zu tun. Außer kaffeetrinkend im Bett zu liegen und endlich den Liebesroman zu lesen, den ich mir vor einer Woche gekauft habe. Bisher bin ich nicht dazu gekommen, auch nur eine Seite zu lesen, und das ärgert mich. Die letzten Wochen waren ungemein stressig.
    Im richtigen Leben habe ich bis vor Kurzem noch als technische Zeichnerin in einer kleinen Baufirma gearbeitet – Abteilung Gas, Wasser, Scheiße. Ein bombensicherer Job, denn geheizt und aufs Klo gegangen wird immer. Sollte man meinen. Aber dank der Geiz-ist-geil-Philosophie wurde diese Firma immer mehr in die Nähe des Abgrunds geschoben. Da half auch keine Kurzarbeit oder der Verzicht auf die Bezahlung von Überstunden. Die Kündigung wegen Konkurs lag zwei Monate später im Postkasten. Frohe Weihnachten.
    Mit knapp zweihundert Überstunden im Gepäck konnte ich einen Tag nach Erhalt des Schreibens meine Sachen packen. Traurig verabschiedete ich mich von denen, die mir ans Herz gewachsen waren. Nach sieben Jahren Zusammenarbeit mit denselben Leuten verdrückt man da schon das ein oder andere Tränchen.
    Glücklicherweise habe ich noch meinen Job als Bedienung im Brauhaus, einer der angesagtesten Kneipen der Stadt. Und dank der jedes Jahr wiederkehrenden Grippewelle und den dadurch ständig ausfallenden Kollegen kann ich einige Extraschichten übernehmen. Ich habe jetzt ja Zeit. Und Geld kann man schließlich nie genug haben.
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