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Galgeninsel

Galgeninsel

Titel: Galgeninsel
Autoren: Jakob Maria Soedher
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solche Orte des Kapitals beschaffen sein sollten.
    Er erwartete Stille. Zuallererst musste es still sein. Eine Stille die sich aus den Mengen der Gelder und Anlagen ergab, über deren Existenz seine Besitzer wohliges Schweigen ausbreiteten. Allenfalls wurden an Mahagonitischen halblaute Gespräche über wichtige Dinge geführt, wobei das Gesprochene von Wänden, Böden und Mobiliar geradezu aufgesogen werden musste. Und damit dieses Schweigen, diese Stille greifbar wurde, erwartete er alte Dielen, die, wenn teure Lederschuhe sie mit festem Schritt walkten, auch knarren durften. An den Wänden sollten schmale Sideboards aus edlem Holz stehen, darauf Vasen, immer mit frischen Blumen, und darüber schließlich eine Reihe von Ölbildern, anfangend bei den Gründern bis hin zum letzten Direktor. So gehörte sich das, weil es in amerikanischen Filmen auch immer so dargestellt wurde.
    Schielin traf einen Ort an, hinter dessen Türen auch ein Zahnarzt seine Arbeit verrichten hätte können. Keine Dielen, keine Ölbilder, kein Schweigen. Stattdessen Nüchternheit. Dem Zeitgeist entsprechende Nüchternheit und digitale Strenge moderner Geldbewirtschaftung. Die Möblierung erfüllte die an sie gerichteten funktionalen Anforderungen. Repräsentatives war nicht zu finden. Damit hätte man leben können. Schockiert war Schielin allerdings von dem, was da an den Wänden hing. Kunstdrucke! Billige Drucke in Baumarktrahmen! Was war das für eine Privatbank? Dann noch die Auswahl der Motive. Franz Marcs Turm der blauen Pferde hing neben Monets Gartenteich. Die teuersten Sonnenblumen der Welt durften natürlich nicht fehlen, dazu ein wenig Popart. Schielin suchte nach einem Motiv von Spitzweg, das auch noch gut gepasst hätte. Und Stille? Das Telefon piepte unerträglich hoch und aus unsichtbaren Lautsprechern drang die Zwangsfröhlichkeit von Antenne Bayern.
    Schielin entschuldigte sich bei Kehrenbroichs Sekretärin für sein zu frühes Erscheinen. Da der Chef noch nicht im Hause war, wie er erfuhr, wartete er in einem nüchternen Besucherraum. Wenigstens das Ledersofa war einigermaßen gemütlich. Schielin war verwundert. Vielleicht war das alles ja auch von Artdirektoren entworfen und vermittelte auf subtile Weise eine Botschaft, die einem erst ab bestimmten Kontoständen erfahrbar wurde? Schielin beschloss, sich dieses Unternehmen genauer anzusehen.
     
    Er hörte unterdrücktes Reden im Vorzimmer und kurze Zeit später wurde er in das Büro von Kehrenbroich gebeten. Mit Zahnarzt hatte er gar nicht so falsch gelegen. Kehrenbroich saß aufrecht und mit ernstem Gesicht hinter einem gläsernen Schreibtisch. Schielin wartete förmlich auf ein »Na was haben wir denn«.
    Akten, Dokumente oder sonstiges, was an Arbeit erinnern könnte, suchte Schielin vergeblich. Ein schwarzes Telefon, an der Seite des Tisches ein Flachbildschirm und daneben ein voluminöser Montblanc, das waren die einzigen Insignien der Macht. Kehrenbroichs aufgesetzte Ernsthaftigkeit war nicht authentisch und konnte Schielin nicht überzeugen. Gerade die gänzlich abwesende Gelassenheit seines Gegenübers machte ihn zum geborenen Opfer für einen erfahrenen und zu jeder Gemeinheit bereiten Gendarmen, denn – Kehrenbroich war kreidebleich. Er hatte also Angst, und wenig Nerven. Aber weswegen nur? Schielin nahm auf dem Besucherstuhl Platz und dachte an Funks Sessel. Welch ein Abstieg. Er schwieg und sah Kehrenbroich aufmunternd an. Schließlich war der in seinen eigenen vier Wänden und sollte das Gespräch beginnen. Kehrenbroich ließ sich durch Schielins Geste tatsächlich animieren.
    »Sie sind von der Polizei«, sagte er feststellend und musste sogleich räuspern. Oh je, dachte Schielin, und blieb erst einmal wortkarg.
    »Ja.«
    »Sie kommen sicher wegen der Sache von Herrn Kandras zu mir?«
    »Der Sache?«, fragte Schielin und runzelte die Stirn.
    »Na ja. Ich meinte in der Vermisstensache Raimund Kandras. Ich war es doch, der das gemeldet hat, bei der Polizei.«
    Schielin richtete sich auf. »Ja. Deswegen bin ich hergekommen. Mich interessiert, was Sie dazu bewogen hat, Herrn Kandras als vermisst zu melden.«
    Kehrenbroich sah Schielin fragend an.
    »Es ist nun doch ungewöhnlich, dass ein Bankdirektor eine Person als vermisst meldet und niemand aus der Familie. Soweit ich informiert bin, waren Sie mit Herrn Kandras … nur geschäftlich verbunden«, sagte Schielin und lächelte vertrauenswürdig.
    »Ja. Das sind Sie richtig informiert«, entgegnete Kehrenbroich
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