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Gabriel oder das Versprechen

Gabriel oder das Versprechen

Titel: Gabriel oder das Versprechen
Autoren: Wolfgang Voosen
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jederzeit. Nur während
der Gesprächsrunden sollten Fragen nur auf Ihr Gegenüber beschränkt
sein. Also, was haben Sie auf dem Herzen?«
    »Besteht nach den Gesprächen mit den
anderen Teilnehmern anschließend noch die Möglichkeit, dass wir uns
untereinander hier oder vorne im Bistro austauschen
können?«
    »Ja, da sind Sie etwas vorgeprescht.
Zu den Einzelheiten, wie alles abläuft, komme ich gleich«,
erwiderte Vera weiterhin freundlich, aber doch bestimmt und wandte
sich an Carlo, der gerade den Raum betreten hatte. »Bei Carlo,
meinem Barkeeper, können Sie jetzt Ihre Bestellungen
aufgeben.«
    Unter den Teilnehmern setzte wieder
leises Gemurmel ein, während Carlo die Getränke wünsche
entgegennahm. Alle hielten sich an Veras Bitte und bestellten
Antialkoholisches, meistens Kaffee oder Latte macchiato. Vera
begann von Neuem. »Sicherlich haben die meisten von Ihnen sich im
Internet schon schlau gemacht, wie so ein Abend abläuft. In
Kurzfassung noch einmal die wichtigsten Punkte. Ein Gespräch mit
Ihrem Gegenüber dauert genau neun Minuten. Es ertönt ein
Klingelzeichen und dann wechselt jeder der Herren seinen Platz nach
rechts zum Nachbartisch. Vor Beginn der neuen Gesprächsrunde
kreuzen Sie, bitte für die anderen Teilnehmer möglichst nicht
sichtbar, auf Ihrer Karte ›ja‹ oder ›nein‹ an, womit Sie
dokumentieren, ob ich Ihre E-Mail-Adresse weitergeben darf. Das
geschieht natürlich nur, wenn auch Ihr Gesprächspartner, falls Sie
ihm ein ›Ja‹ gegeben haben, seine Karte entsprechend ausgefüllt
hat.«
    »Rechts von mir ist aber kein
Tisch«, warf Bruno Lagier, ein braun gebrannter Mittvierziger mit
bereits sich abzeichnender Stirnglatze und einem grau melierten
Schnauzbart, den Vera schon bei der Begrüßung als ziemlich
selbstgefälligen Zeitgenossen eingestuft hatte, grinsend
ein.
    Nun macht er auch noch den
Pausenclown, dachte Vera leicht angesäuert, lächelte aber bei ihrer
ironischen Antwort den Teilnehmer freundlich an und brachte
zugleich die Lacher auf ihre Seite. »Dann müssen Sie eben den Tisch
nehmen, der frei bleibt… und ich vermute mal ganz stark, dass das -
von mir aus gesehen - der linke Tisch in der letzten Reihe sein
wird.«
    Es kam kein Echo und auch keine
weiteren Fragen, so dass Vera ungehindert fortfahren konnte. »Nach
der fünften Gesprächsrunde machen wir eine 15-minütige Pause, vor
allem für die Raucher, für die wir vor dem Bistro eine kleine
Raucherecke eingerichtet haben. Im Übrigen können Sie bei Carlo an
der Bar dann auch Getränke nachbestellen. Wenn die letzte, also die
neunte Runde zu Ende ist, sammele ich Ihre Karten ein, auf denen
ich schon, wie Sie sehen, jeweils Ihren Vornamen und Ihren - wie
heißt es auf Neudeutsch - Ihren ›Nickname‹, den Sie auch in Ihrer
speziell eingerichteten E-Mail-Adresse verwenden, eingetragen habe.
So, wenn Sie keine Fragen mehr haben, kann's
losgehen.«        
    Niemand meldete sich. Sie betätigte
den überdimensional großen Wecker, der auf ihrem Bistro-Tisch
stand. Auf dem Glas des Weckers prangte das von ihr verwendete
Logo: Herzdame und Herzbube mit den drei Neunen in der Mitte.
›9-9-9‹ stand für die neunminütigen Gespräche der neun weiblichen
und der neun männlichen › Speed-Dater‹. Danach setzte sich Vera auf
den vor ihrem Tisch platzierten, ebenfalls erhöhten, drehbaren, mit
rotem Nappaleder bezogenen Cocktailsessel. Von hier aus hatte sie
alle Teilnehmer gut im Blick. Ein weiterer Vorteil war, dass sie
dem Gespräch am rechten Tisch in der ersten Reihe meist recht gut
folgen konnte, wenn es nicht gar zu leise geführt wurde. Sie sah
hierin keine Indiskretion. Vielmehr hatte sie in der Vergangenheit
durch dieses ›Hineinhören‹ schon häufig neue Anregungen gesammelt,
die ihr zur permanenten Verbesserung der Abläufe dienten. So
lauschte sie auch an diesem Abend voller Interesse dem unmittelbar
vor ihr stattfindenden Gespräch der ersten Runde, nur scheinbar
vertieft in die vor ihr liegenden Listen und
Aufzeichnungen.
    *
    Mit geübtem Blick musterte Vera das
schräg vor ihr sitzende Pärchen: Er, 46-jähriger Betriebswirt - wie
sie ihren Unterlagen entnahm - etwa 1,80 Meter groß, mit frisch
gestutztem Schnauzbart, Halbglatze, deutlichem Bauchansatz und
erkennbar gepflegten Händen - wirkte in seinem gut sitzenden,
dezent gestreiften, marineblauen Anzug auf sie wie ein Angestellter
des mittleren Managements. Vielleicht Abteilungsleiter in einem
Mode-Kaufhaus oder Prokurist in einer Bank?
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