Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gabriel oder das Versprechen

Gabriel oder das Versprechen

Titel: Gabriel oder das Versprechen
Autoren: Wolfgang Voosen
Vom Netzwerk:
objektiv einen guten Deal
machte.
    »Chefin, sind Sie so weit?« ließ
sich Carlo vernehmen, der von ihr unbemerkt in das vom Hauptraum
abgetrennte Hinterzimmer getreten war. Carlo - Mitte zwanzig,
mittelgroß, kräftig, tiefschwarzes, dichtes Haar, Dreitagebart -
war Halbitaliener und konnte seine italienische Abstammung nicht
verleugnen. Von seinem Vater hatte er den Charme des Südländers
geerbt, von seiner deutschen Mutter den Hang zur Perfektion. »Die
ersten Teilnehmer werden bestimmt in wenigen Minuten da sein! Wir
müssen uns sputen!« Vera schreckte aus ihren Gedanken hoch. »Ja,
ja! Es ist alles okay. Du kannst ja auch noch mal einen Blick auf
die Deko werfen. Was meinst du?«
    »Perfekt, alles perfekt, wie immer«,
ermunterte Carlo seine Chefin, zu der er ein gutes Verhältnis hatte
und die er insgeheim bewunderte, vielleicht sogar begehrte. Mehr
als ein Dutzend Jahre war sie älter als er, aber das hätte ihn
nicht gestört. Im Gegenteil. Die Barriere jedoch, die von Anfang an
zwischen ihnen gestanden hatte, war sein Angestelltenstatus. Gleich
zu Beginn hatte sie ihn gefragt, ob sie ihn duzen dürfe. Damals
hatte er die Gelegenheit verpasst, es ihr gleich zu tun. »Klar
Chefin, natürlich können Sie mich duzen!« hatte er geantwortet. Und
seit diesem Moment war es so geblieben: Sie duzte ihn, er siezte
sie. »Dann kann's ja losgehen. Im Bistro alles klar? Hast du auch
genug Getränke gekühlt?«
    »Aber Chefin«, antwortete Carlo
leicht pikiert, »ich mach das doch nicht zum ersten
Mal!«
    »Pardon, war nicht so gemeint«,
entschuldigte sich Vera bei ihm. »Bin heute irgendwie nicht so ganz
bei der Sache!«
    »Das wird schon, sobald die Ersten
da sind«, sagte Carlo und verschwand durch die Tür. Gerade noch
rechtzeitig, denn schon kurz darauf betraten die ersten Teilnehmer
das Bistro.
    Zehn Minuten nach sieben waren alle
›Speed-Dater‹ eingetroffen, die Vera gleich zu dem von ihr
ausgesuchten Tisch begleiten würde. Auch hier wollte sie - so weit
das möglich war - steuernd eingreifen. Sie hatte sich, weil sie von
den Kandidaten meist nur Alter, Geschlecht und Beruf kannte, ein
System der Reihenfolge zurechtgelegt, mit dem sie beste Erfahrungen
gemacht hatte. In aller Regel lag sie damit richtig.
    Auch heute war es für sie wieder
interessant zu beobachten, wie ihre Gäste sich vor dem eigentlichen
Beginn der Zweiergespräche verhielten. Drei Frauen, zwischen Mitte
dreißig und vierzig, die sich offensichtlich kannten, standen
rechts neben den Tischen, und plauderten munter drauf los.
Unverkennbar hatten sie sich in Schale geworfen. Sechs der Männer,
fünf von ihnen in den Vierzigern, einer Anfang dreißig, hatten sich
hinter den Tischen aufgebaut und tauschten ihre Erfahrungen über
vergangene Speed-Datings aus. Dabei ließen sie - mehr oder weniger
unauffällig - ihre Blicke durch den Saal schweifen, schon jetzt auf
der Suche, wie Vera mit ihrer Erfahrung von zahlreichen derartigen
Veranstaltungen feststellte. Die übrigen Gäste standen unschlüssig
meist in Wandnähe und wussten nicht so recht, was sie tun sollten.
Es schien, als seien sie froh über das gedimmte Licht im Raum, das
sie nicht so sehr ins Rampenlicht schob.
    Aber eines war allen gemeinsam, das
sie wie eine unsichtbare Kette miteinander verband. Die Spannung.
Die Erwartung, was der heutige Abend für jeden Einzelnen von ihnen
bringen würde. Und diese knisternde Spannung war im Räume spürbar.
Für jeden. Auch für Vera. Sie ging auf die sechs Herren zu.
Schlagartig verstummten die Gespräche. Sie begleitete jeden von
ihnen an den von ihr ausgewählten Tisch. Es folgte das Damentrio.
Dann kamen die übrigen Gäste an die Reihe. Vera trat an ihren vor
den drei Reihen etwas nach rechts versetzten erhöhten Bistro-Tisch.
»Guten Tag, meine Damen und Herren. Als Gastgeberin des heutigen
Abends heiße ich Sie herzlich willkommen. Drei von Ihnen sind mir
ja schon von früheren Treffen bekannt, was mich außerordentlich
freut, denn es zeigt doch offensichtlich, dass ich den Namen ›Vera
& Friends‹ für mein kleines Bistro mit Bedacht und nicht zu
unrecht gewählt habe. Wie üblich lade ich Sie zum ersten Getränk
ein, das nicht alkoholisch sein sollte, damit Sie mit voller
Konzentration die vor Ihnen liegenden eineinhalb bis zwei Stunden
in Angriff nehmen können.«
    »Darf ich eine Frage stellen?«
meldete sich Alexandra Kurtz, eine etwas üppige, stark geschminkte
Teilnehmerin von Mitte bis Ende 40 zu Wort.
    »Natürlich,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher