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Gabriel oder das Versprechen

Gabriel oder das Versprechen

Titel: Gabriel oder das Versprechen
Autoren: Wolfgang Voosen
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sich sicherlich nicht getraut,
zu einem Speed-Date-Treffen zu gehen, aber hier - weit ab vom
Schuss - musste er ja nicht befürchten, von einem seiner Freunde
zufällig ›ertappt‹ zu werden. Auf die Existenz von
Speed-Date-Agenturen war er bei der Suche im Internet nach
Partnerschaftsvermittlungen gestoßen. Ein solches Speed-Dating
schien Niko die günstigere - vor allem aber auch ihn nicht
langfristig bindende - Alternative zu sein.
    Er hastete die Treppen zum zweiten
Stock hinauf, schaltete den Kaffeeautomaten ein, entledigte sich
seiner Business-Kluft und sprang unter die Dusche. Danach rasierte
er sich, heute bereits zum zweiten Mal, und sprühte sich ein
bisschen Evidence Homme von Yves Rocher seitlich an den Hals und
hinter die Ohren. Er mochte kein Rasierwasser, aber ein - weniger
intensives - Eau de Toilette schien ihm für den heutigen Abend
angebracht. Unwillkürlich musste er lächeln bei dem Gedanken, wie
lange wohl die Damen des heutigen Abends im Bad und vor ihrem
Kleiderschrank verbringen würden. Als älterer Bruder einer
Schwester verfügte er insoweit über reichliche Erfahrung. Er selbst
pflegte sich - zumindest in solchen Fragen - immer rasch zu
entschließen und hatte ein gutes Gefühl dafür entwickelt, welches
Outfit zu welchem Anlass passte. Er entschied sich für eine gerade
erst letzte Woche erworbene Jeans und ein blau-weiß gestreiftes
Freizeithemd. Dazu wählte er einen dunkelblauen Pullover. Er
schaute in den Spiegel und war mit seinem Konterfei zufrieden. Noch
schnell einen Happen essen und einen Schluck trinken - der Kaffee
war inzwischen durchgelaufen - und dann konnte das Abenteuer
beginnen.

 
    3
    Emilienstraße 31, Freitag, 8. Mai,
16.55 Uhr
    Sandra Niemetz, 31 Jahre, kurze
brünette Haare mit rötlichen Strähnchen, Konfektionsgröße 36 - bei
Blusen und Pullovern allerdings meist 38 - und mit ihren knapp 1,65
Meter eher klein gewachsen, kam etwas gehetzt nach Hause. Mit
leicht vorwurfsvollem Miauen wurde sie von ihrem Kater Cäsar
empfangen. Seine schlechte Laune wich aber schnell einem
zufriedenen Schnurren, als Sandra ihm eine Portion Katzenfutter
hinstellte und ihn hinter den Ohren kraulte. Soviel Zeit musste sie
sich nehmen. Eigentlich hatte sie ihren Friseursalon in der Barmer
City heute schon am frühen Nachmittag verlassen wollen, aber eine
Stammkundin hatte sich verspätet und wollte partout nicht von einer
ihrer beiden Angestellten bedient werden. Also machte sie gute
Miene zum bösen Spiel. Ausgerechnet heute. Nun wurde es doch noch
ein Wettlauf mit der Zeit.
    Die große Frage stand im Raum: »Was
zieh' ich an? Das dezente schwarz-weiße, ärmellose Kleid, wie beim
letzten Mal? Oder doch lieber das hellgraue Kostüm?« Beides schien
ihr zu brav für den Anlass. Außerdem nicht sportlich genug. Die
Zeit zerrann. Sie entschied sich schließlich für eine Jeans von
Joop und einen eng anliegenden hellbraunen Kaschmir-Pullover, der
ihre Figur betonte. Trotz ihrer Unentschlossenheit, die sie bei der
Auswahl ihrer Klamotten immer an den Tag legte, schaffte sie es,
gegen halb sieben die Wohnung zu verlassen. Mit ihrem silbergrauen
Tigra, einem Zweisitzer-Cabrio, das sie sich Anfang des letzten
Jahres quasi als Frustkauf nach einer in die Brüche gegangenen
längeren Beziehung mit einem verheirateten
Mann gegönnt hatte, fuhr sie Richtung Elberfeld. Mit Glück
ergatterte sie in der Friedrich-Ebert-Straße noch einen freien
Parkplatz. Von dort waren es nur zwei Minuten bis zum Bistro ›Vera
& Friends‹, ihrem heutigen Ziel.

 
    4
    Bistro ›Vera & Friends‹,
Freitag, 8. Mai, 18.35 Uhr
    Mit geübtem Blick vergewisserte Vera
sich, dass die kleinen quadratischen Tische in der üblichen
Formation standen: vier Tische in der hinteren, drei in der
mittleren und zwei in der vorderen Reihe. Bei den ersten von ihr
veranstalteten Speed-Date-Treffen hatte sie drei Dreier-Reihen
gewählt, dies aber schon nach kurzer Zeit geändert. Es wirkte zu
geometrisch und dadurch irgendwie steril. Je zwei Stühle standen an
den gegenüber liegenden Seiten der Tische so, dass Vera ihre Gäste,
wie sie die Teilnehmer gerne nannte, immer im Profil würde sehen
können. Auf jedem der Tische befand sich eine kleine gläserne
Leonardo-Vase mit einer winzigen rosafarbenen Rose. Links daneben
stand ein weißes Schälchen aus feinem Porzellan in der Form eines
gezackten Blattes mit gesalzenen Cashewnüssen. Alles war an seinem
Platz. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Auch den Ablauf der
folgenden
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