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Gabriel oder das Versprechen

Gabriel oder das Versprechen

Titel: Gabriel oder das Versprechen
Autoren: Wolfgang Voosen
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knapp zwei Stunden würde Vera mit ihrer Routine, die sie
sich in den letzten beiden Jahren bei mehr als 25 dieser Art von
Veranstaltungen erworben hatte, fest im Griff haben. Sie hatte das
Bistro in der Luisenstraße in Elberfeld etwa ein halbes Jahr nach
ihrer Scheidung von Peter Bammer eröffnet. Als Startkapital diente
ihr ein Teil der fast 600.000 Euro, die das Ergebnis einer
öffentlich ausgetragenen Schlammschlacht waren. Gottlob hatte sie
Dr. Hopfenstätt, der Scheidungsspezialist aus der Kölner Sozietät
Prof. Dr. Persson & Partner, vertreten. Er war ein gewiefter
Fuchs und konterte alle Attacken, die von der Gegenseite im Prozess
vorgetragen worden waren. Zwar hatte sie die hohe Abfindung gegen
den Verzicht auf jegliche Unterhaltsansprüche eingetauscht. Aber
das hatte sie auch schon im ersten Gespräch mit ihrem Anwalt
klargestellt. Sie wollte sich auf eigene Füße stellen und brauchte
dafür jetzt einen sicheren finanziellen Rahmen. Was sie im Alter
bräuchte, würde sie sich selbst erarbeiten. Sie fühlte sich mit
ihren 38 Jahren noch jung genug, um wieder ganz von vorne
anzufangen. Und sie wollte auch alle Brücken hinter sich abbrechen
zur Familie und zum Freundeskreis ihres Exmannes in Düsseldorf.
Deshalb hatte sie auch umgehend wieder ihren Mädchennamen ›Corts‹
angenommen.        
    Dank ihrer eigenen Freunde -
überwiegend aus der Studentenzeit während ihres Mathematik-Studiums
in Wuppertal - zu denen sie den Kontakt nie verloren hatte, war ihr
der Absprung von der so genannten ›feinen Düsseldorfer
Gesellschaft‹ ohne seelische Blessuren gelungen. Zumindest war dies
der Eindruck, den ihre Freunde gewonnen hatten. Eine blonde,
sportliche Enddreißigerin, mit fast 1,75 Meter deutlich größer als
die meisten anderen Frauen ihres Alters, die dynamisch zupackte und
ausführte, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Nur Angela, ihre
beste Freundin, wusste, dass Vera nicht so unverletzt aus der
Endphase ihrer Ehe hervorgegangen war, wie es schien.
    Sie hatte Peter vor 14 Jahren auf
der ›Boot‹ kennen gelernt, als er mit ein paar Geschäftsfreunden
wie jedes Jahr die Ausstellung besuchte. Sie jobbte zum ersten Mal
auf der Düsseldorfer Messe, um ihr BAföG aufzubessern. Es war Liebe
auf den ersten Blick, obwohl er 17 Jahre älter war als sie. Was sie
an ihm schätzte, war seine damalige Offenheit, denn schon beim
zweiten Treffen, als sie noch nicht miteinander geschlafen hatten,
gestand er ihr, verheiratet zu sein. Seinen ernst gemeinten
Vorschlag, sich nicht mehr zu treffen, lehnte sie energisch ab. Sie
liebte ihn und war sich sicher, dass auch er sie liebte. So würde
sich ein Weg finden lassen. Zwei Jahre später ließ Peter sich von
seiner Frau scheiden und heiratete Vera, die gerade ihr Examen
bestanden hatte. Beide bezogen eine 4-Zimmer-Wohnung in einer der
gerade neu errichteten Wohnanlagen im Düsseldorfer Hafen Bilk mit
Blick auf den Rhein. Das Glück war perfekt. Bis sich die Geschichte
nach etwas mehr als zehn Jahren zu wiederholen schien. Wieder war
es auf der ›Boot‹. Wieder war es eine junge Studentin von Mitte
zwanzig. Es war, als hätte Peter ein ›Dejá-vu‹, als er ihr
begegnete: Die Studentin, die da vor ihm stand, ähnelte verblüffend
der jungen Frau, die er vor etwa einem Jahrzehnt auf derselben
Ausstellung kennen gelernt hatte. Peter verliebte sich mit Haut und
Haar in sie und kam nicht mehr von ihr los.
    In der Folgezeit begriff Vera, wie
Peters erster Frau zumute gewesen sein musste. Sie litt still vor
sich hin. Fast der Verzweiflung nahe konnte sie sich nur mit Mühe
und mit Angelas Hilfe aus ihrer schweren Depression befreien. Das
Scheidungsurteil wurde dann zum endgültigen Befreiungsschlag. Vom
Tage seiner Verkündung an zeigte sich aber auch ein durchgreifender
Wandel bei Vera. Ihre Sanftheit verschwand und sie wurde hart gegen
sich und andere.
    Sie zog nach Wuppertal, investierte
etwa ein Drittel ihrer Abfindung in den Kauf einer modernen
3-Zimmer-Wohnung in Ronsdorf und begann in aller Ruhe, Ausschau zu
halten nach einem kleinen Cafe oder Restaurant. In ihrem
eigentlichen Beruf zu arbeiten, schien ihr zwecklos, denn wer
suchte schon eine 38-jährige Mathematikerin ohne Berufserfahrung …
    So hatte sie sich schließlich für
den Kauf des Bistros in der Luisenstraße entschieden. Der Makler
hatte anfangs einen fast 20 % höheren Kaufpreis genannt, aber ihre
Beharrlichkeit und der lange Leerstand hatten letztlich den
Ausschlag gegeben, dass sie
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