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0489 - Die Spinnenhöhle

0489 - Die Spinnenhöhle

Titel: 0489 - Die Spinnenhöhle
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Kirsten Simban, 34 Jahre alt und als Reporterin für die größte Tageszeitung Johannesburgs tätig, betrachtete erschrocken ihren Fuß. Sie trug Sandalen, und die verflixte Spinne hatte genau zwischen die Lederriemen gebissen. Es tat höllisch weh, und Kirsten entdeckte zu ihrem Entsetzen, daß die Beißzangen noch im Fleisch saßen. Der Rest der nahezu hühnereigroßen Spinne verteilte sich jetzt als eklige Schleimspur auf dem Linoleum-Fußboden.
    Was Kirsten mehr erschreckte als die Verletzung selbst, war, daß sie die Spinne nicht gesehen hatte. Dabei war sie eigentlich innerlich darauf geeicht, derartige Gefahren zu bemerken. Oft genug hielt sie sich in Gegenden auf, wo Ratten, Giftschlangen, Skorpione und andere nette Vertreter der Gattung Menschenmörder verbrieftes Hausrecht hatten. Bisher war ihr nie etwas passiert. Für den Notfall hatte sie immer eine Pistole bei sich, deren Schnellzieh-Holster sie an den Gürtel ihrer Jeans clipste. Deshalb sah man sie »dienstlich« auch immer nur in Jeans und mit einer Jacke, die lang genug war, das Holster zu verdecken, ganz gleich, wie heiß es war. Natürlich war die Waffe illegal. Aber Kirstens Haut war hell genug, daß sie als Weiße gelten konnte. Bei einer Kontrolle durch weiße Polizisten brauchte sie nur zu behaupten, daß sie die Waffe trug, um sich vor Überfällen der Schwarzen zu schützen. Offiziell hatten Mandela und deKlerk sich zwar an einen Tisch gesetzt und bemühten sich, die Apartheid zu beenden, aber in der Praxis war der Unterschied zwischen Schwarz und Weiß immer noch unüberbrückbar, und je näher die beiden Hautfarben sich in der offiziellen Politik kamen, desto größer wurde die Furcht der reichen Weißen, daß die Schwarzen sich jetzt für jahrzehntelange brutale Unterdrückung an ihnen rächen würden. Das vertiefte den Konflikt nur noch weiter, statt ihn zu beenden.
    Kirsten Simban profitierte von ihrem Aussehen. Sie war ein Mischling, sie lebte zwischen den Welten. Es gab Schwarze, die sie akzeptierten, obgleich sie fast keine negroiden Merkmale besaß. Aber ihre Mutter war schwarz, und es gab wichtige Leute, die das wußten und die ihr deshalb zuweilen halfen. Ihr Vater war weiß. Dadurch, und durch ihren weißen Phänotyp, hatte sie einen »weißen« Beruf ergreifen und Karriere machen können.
    Ein paarmal hatte sie mit der Pistole schon Ratten, Schlangen und Skorpione zerschossen. Normalerweise sah sie die Biester rechtzeitig. Daß diese Spinne ihr unbemerkt so nahe gekommen war, erschreckte sie.
    Kirsten Simban zwang sich zu einer eiskalten Analyse, auch wenn in ihrem Fuß ein verzehrendes Feuer brannte. Sie betrachtete die Spinnenreste. Aber das war keine Spinne, wie sie sie kannte. Bei ihrer immensen Größe hätte sie eigentlich stark behaart sein müssen. Doch was da an Spinnenbeinen und Körperschalenresten zwischen dem grüngelben Schleim lag, war glatt. Und die Farbe ging ins Grünliche.
    Türkisgrün?
    »Kirsten, du bist verrückt!« schalt sie sich selbst. »Was du suchst, ist aus Stein geschnitten, möglicherweise Jade, vielleicht ein riesiger, richtiger Türkis.« Und der mußte, obgleich nur Halbedelstein, allein seiner Größe wegen einen gigantischen Wert besitzen, denn die faustgroße Spinne war aus einem einzigen Stück geschnitten und nicht aus Einzelteilen zusammengesetzt.
    Außerdem bewegten Steine sich nicht von selbst. Und beißen konnten sie erst recht nicht. Zudem: wenn man auf sie trat, tat man sich höchstens den Fuß weh, hatte aber nicht das fragwürdige Vergnügen, sie in Schalenfragmenten und grüngelben Schleim auseinanderplatzen zu sehen.
    Das war also eine Spinne, die mit Sicherheit nicht in »Brehm’s Tierleben« verzeichnet war. Trotzdem gab es sie - beziehungsweise hatte es sie gegeben. Und Kirstens Fuß schmerzte immer noch höllisch. Sie humpelte ins Badezimmer, fand den Medizinschrank mit der Erste-Hilfe-Ausrüstung und bediente sich, als wäre es ihre eigene Wohnung. Mit einer gehörigen Portion Selbstüberwindung und einer Pinzette schaffte sie es, beide Beißzangen zu lösen. Etwas Blut sickerte nach, aber die Blutung kam bereits zum Stillstand, noch ehe sie ein Desinfizierungsmittel auftragen und einen Verband anlegen konnte.
    Also ließ sie es bleiben. Wenn Gift in die Wunde gespritzt worden war, war es jetzt mit dem Blut hinausgeschwemmt, und der Blutungsstillstand zeigte an, daß die Wunde bereits wieder verheilte. Kirsten hatte schon immer sehr gutes Heilfleisch gehabt. Warum sollte
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