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Fyn - Erben des Lichts

Fyn - Erben des Lichts

Titel: Fyn - Erben des Lichts
Autoren: Nadine Kühnemann
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Schmutzschicht noch gut zu erkennen war. Es machte den Eindruck, als wollte er Mr. Nedally an die Kehle springen, doch er hielt sich zurück.
    »Das ist eine dreiste Lüge. Ich habe ein Fahrrad gekauft, das mir ein Kerl auf dem Markt zu einem günstigen Preis überlassen hat. Ich bin kein Dieb.«
    Mr. Nedally knurrte. »Das ist aber mein Fahrrad! Das können zahlreiche Männer bestätigen. Sie haben es gestohlen!« Beide Männer sprachen daraufhin durcheinander, sodass kaum ein einzelnes Wort auszumachen war.
    »Ruhe«, donnerte Breanor, woraufhin ihr Geplapper schlagartig abbrach. Anders als erwartet, wandte er sich jedoch zunächst an mich. »Fyn, ich muss mich um diese Angelegenheit kümmern. Es ist die Aufgabe der Weißen Liga, in unserer Stadt für Recht und Ordnung zu sorgen. Es wird auch eines Tages deine Pflicht sein, dich um die Einhaltung unserer Gesetze zu kümmern. Warte hier auf mich, ich werde bald zurück sein.«
    Ich nickte. Breanor wandte sich von mir ab und verschwand mit den Männern hinter einer Häuserecke. Mit einem Mal war ich allein, mit Ausnahme des Kutschers, der sich jedoch mehr damit beschäftigte, seine Hände zu wärmen, anstatt auf einen Bengel aufzupassen. Vater hatte mich oft über die Aufgaben der Weißen Liga aufgeklärt. Sie stellte nicht nur die Leibwache des Königs, sondern entlastete auch die ortsansässige Polizei. Ihnen stand es ferner zu, Recht zu sprechen und sich um die Urteilsvollstreckung zu kümmern.
    Man hätte vermuten können, dass ich stocksteif dastand und brav auf die Rückkehr meines Vaters wartete, doch in diesem Punkt verhielt ich mich wie jeder andere kleine Junge. Wie ich bereits erwähnte, war ich kein Jammerlappen. Ich war – abgesehen von der Befangenheit in Gegenwart meines Vaters – weder schüchtern noch ängstlich, was mir in meinem späteren Leben noch öfter zum Verhängnis werden sollte. Ich galt als ein neugieriger Rabauke, der seine Lehrer zur Weißglut bringen konnte. Als ein Kind, dem man das Kindsein verwehrte, brach ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus meinem Käfig aus.
    Ich sah mich nach dem Kutscher um. Er griff in die Innentasche seines Umhangs und förderte eine flache Glasflasche zutage, dessen dunkelbraune Flüssigkeit er in kleinen Schlucken hinunterstürzte. Er war vollends mit sich beschäftigt. Also machte ich mich auf den Weg zurück zur Baustelle. Ich wollte mich ungestört und ohne Aufsicht umsehen. Vater hatte mein Verhalten selbst verschuldet, indem er einen Sohn heranzog, der technische Raffinessen und Maschinen liebte. Nichts Böses dabei denkend, ging ich zurück, um mir die Brücke noch einmal aus der Nähe anzusehen. Ich war der festen Überzeugung, dass es Vater gefallen würde, wenn ich mir jedes Bauteil einprägte und ihm mein Wissen auf der Rückfahrt in der Kutsche präsentierte. Er würde so stolz auf mich sein!
    Ich befand mich inmitten Dutzender Straftäter, die alle einen guten Grund hatten, Groll gegen die Weiße Liga zu hegen, doch ich dachte nicht über die Gefahr nach. Ich war nur ein Junge, der von dem Bösen der Welt noch nichts ahnte. Es wäre ein Leichtes für jeden der Männer gewesen, mich zu entführen und Geld zu erpressen, doch damals verschwendete ich keinen Gedanken daran.
    Niemand beachtete mich. Vielleicht trauten sie sich auch nicht, Hand an mich zu legen. Ich hatte indes nur Augen für die Wunder einer Großbaustelle. Mit einem Mal fühlte ich mich frei und vergaß meine tauben Hände. Ich stolzierte über den Platz und kam mir dabei wie ein erwachsener Vorarbeiter vor, der seine Untergebenen beäugte – die dummen Gedanken eines Kindes, das sein Leben damit verbracht hatte, diszipliniert strammzustehen, wenn einer der Lehrer oder der Ligisten an ihm vorüberging. Kaum war ich ohne Aufsicht, tat ich das, was ein Kind nun einmal tat. Es gaukelte sich in seiner Fantasie vor, ein Held zu sein. Den Spieltrieb vermochte man mir selbst nach jahrelangem Drill nicht auszutreiben. Die Begeisterung über meine plötzliche Freiheit lässt Rückschlüsse auf die Tristesse meines bisherigen Lebens zu.
    Das Lachen anderer Kinder brachte mich dazu, mein Spiel abzubrechen und mich umzudrehen. Drei Jungen balgten sich in der Nähe der Baugrube. Zwei von ihnen waren mindestens zwei Jahre älter als ich, der andere etwa in meinem Alter. Voller Neugier betrachtete ich sie. Ich kannte keine anderen Kinder und fühlte mich unwohl. Eine Weile rührte ich mich nicht von der Stelle und beobachtete, wie sie
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