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Fyn - Erben des Lichts

Fyn - Erben des Lichts

Titel: Fyn - Erben des Lichts
Autoren: Nadine Kühnemann
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vorgefallen war.
    Ich saß gefühlte Stunden allein in der Kutsche, während Breanor abermals fortgegangen war. Der Kutscher bekam die strikte Anweisung, mich zu bewachen. Ich kauerte auf den gepolsterten Kissen, starrte auf meine Füße und versuchte zu begreifen, was ich getan hatte. Offensichtlich hatte ich Scott einen heftigen Schlag mit der Zaunlatte verpasst, woraufhin er zu Tode gestürzt war. Ein bitterer Geschmack lag auf meiner Zunge, mir war speiübel. Ich hatte doch gar nichts getan! Ich war unschuldig! Verzweifelt versuchte ich, den Tathergang zu rekonstruieren. Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war der fremde weißhaarige Junge und die Aufforderung von Delian, meinen Aufgaben als Schiedsrichter nachzukommen. So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte mir die darauffolgenden Ereignisse nicht ins Gedächtnis rufen.
    Es folgten endlose Verhandlungen meines Vaters mit den Eltern von Scott, eine eisige Rückfahrt zum Palastgelände und eine anschließende Tracht Prügel, die mir noch heute in den Knochen wehtut, wenn ich darüber nachdenke. Wenn ich für eine Straftat hätte büßen müssen, die ich mutwillig begangen hatte, hätte ich Verständnis für die unangenehmen Konsequenzen aufgebracht, doch ich erinnerte mich nicht an das Verbrechen und fühlte mich unverstanden, ungeliebt, verstoßen, missachtet und schlecht behandelt.
    Zurück im Perlenturm habe ich noch stundenlang in meinem Zimmer geweint, obwohl ich es schon damals als unverzeihliche Schwäche empfand. Vater hatte mich mit der Anweisung auf mein Zimmer geschickt, so lange dort zu bleiben, bis mir jemand erlaubte, es wieder zu verlassen. Ich war so wütend und trotzig, dass ich mir schwor, es selbst dann nicht zu verlassen, wenn man mich auf Knien darum anflehte. Nie wieder wollte ich hinausgehen, sondern dort bleiben und verhungern. Vater würde schon sehen, was er davon hatte. Um mich weinen würden sie, allesamt!
    Als der Strom meiner Tränen versiegt war, erhob ich mich mit rot verheultem Gesicht vom Bett und ging zum Schreibtisch. Das Buch, in dem ich am Morgen gelesen hatte, lag zugeschlagen auf der Tischplatte, meine Schreibfeder und der Notizblock parallel daneben. Technische Errungenschaften unseres Jahrhunderts stand in goldenen Lettern auf dem Einband. Ich hatte das Buch beinahe durchgelesen, obwohl Vater mir noch bis zur nächsten Woche dafür Zeit gab. Ich verschlang Bücher regelrecht, ich las und lernte und wiederholte. Breanor wollte es so, also strengte ich mich an, es ihm recht zu machen. Vielleicht könnte ich streiken und einfach nicht mehr lernen, um ihn zu bestrafen. Ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Mir schien die Option des Verhungerns dann doch die bessere zu sein. Der Hungertod wäre weitaus angenehmer als der Zorn meines Vaters über meinen Ungehorsam.
    Ich war noch immer wütend, aber Tränen können unglaublich heilsam sein. War ich noch vor wenigen Minuten der festen Überzeugung, den gesamten Hofstaat mit meiner Bockigkeit zu bestrafen, fühlte ich mich jetzt nur noch leer. Zudem erinnerte mich mein leerer Magen schmerzhaft daran, wie qualvoll der Hungertod sein würde. Ich warf einen Blick aus dem Fenster, es dämmerte bereits. Sicherlich hatten sich die Soldaten der Weißen Liga schon zum nahenden Abendessen im Speisesaal versammelt. Ob ich heute ohne Mahlzeit zu Bett gehen musste? Wenn es stimmte, was man mir vorwarf, und ich Scott tödlich verletzt hatte, wäre es eine milde Strafe. Dabei hatte ich gar nichts getan!
    Auf dem Fensterbrett stand der Hamsterkäfig. Erst jetzt fiel mir auf, wie still es in meinem Zimmer war. Für gewöhnlich stand das Laufrad in den Abendstunden keine Minute lang still. Ich beugte mich hinunter und spähte durch die Gitter. Bud, mein Goldhamster, lag zusammengekauert in einer Ecke seiner Behausung, die kleinen Äuglein geschlossen, die kurzen Stummelbeine seltsam steif vom Körper abstehend. Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Er war tot, das wusste ich sofort. Schon als Kind war mir der Kreislauf von Geburt und Tod bekannt, hatte ich doch zahlreiche naturwissenschaftliche Abhandlungen darüber gelesen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, erscheint es mir absurd. Hatte ich jemals Kind sein dürfen? Und wenn ja – wann hatte ich aufgehört, eines zu sein?
    Wenn ich nach meinem Kindermädchen schrie, würde es sogleich kommen und mir lang und breit erklären, Bud säße nun an Sinjars großem Feuer und führe ein glückliches Nachleben. An religiösen Unsinn
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