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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita
Autoren: Polina Daschkowa
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voran?«
    »Normal.«
    »Ich hab gehört, du willst für eine Woche in die Türkei.«
    »Stimmt. Und?«
    »Warum hast du nicht Bescheid gesagt?«
    »Muß ich das denn?«
    »Jedenfalls wäre es nicht verkehrt gewesen, mich davon in Kenntnis zu setzen. Na, ich nehm’s dir nicht krumm. Erhol dich ruhig,
     wenn du erschöpft bist. Aber fährt deine Tochter nicht mit?«
    »Sie hat noch keine Ferien.«
    »Verstehe. Dann hättest du doch deine kleine Journalistin mitnehmen können. Tolles Mädchen übrigens. Ich hab sie neulich im
     Fernsehen gesehen, in einem Jugendprogramm. Ist das mit euch beiden was Ernstes?«
    »Entschuldige, aber bin ich dir darüber auch Rechenschaft schuldig?« erkundigte sich Nikita lustlos.
    »Schon gut, Alter, reg dich nicht auf. War ja nur eine Frage, rein freundschaftlich. Hauptsache, dein Privatleben behindert
     deine Arbeit nicht.«
    Nikita sah auf einmal deutlich vor sich, wie sein Gesprächspartner ihm bei diesen Worten auf die Schulter geklopft hätte.
     Immer, wenn er jemanden mit »Alter« anredete, klopfte er ihm auf die Schulter, gönnerhaft, vertraulich. Gut, daß einige tausend
     Kilometer zwischen ihnen lagen.
    »Keine Sorge, das tut es nicht.« Nikita gähnte deutlich in den Hörer.
    »Freut mich zu hören.« Sein Gesprächspartner hüstelte. »Auf welcher Seite bist du jetzt?«
    »Zweihundertfünfzehn. Zufrieden?«
    »Durchaus. Mehr wollte ich eigentlich gar nicht wissen. Ich brenne vor Ungeduld, endlich alles zu lesen. Na schön, Alter,
     erhol dich gut, und dann mit frischen Kräften wieder an die Arbeit. Wann fliegst du?«
    »Heute nacht.«
    »Soll ich dir einen Wagen vorbeischicken?«
    »Danke. Ich komme schon zurecht.«
    »Ach ja, was ich noch fragen wollte – warum hast du so eine billige Reise gebucht? Ein schäbiges Reisebüro, ein Drei-Sterne-Hotel?«
    »Drei-Sterne-Hotels sind manchmal ganz anständig.«
    »So? Na, wie du meinst. Du mußt es ja wissen. Ruf an, wenn du wieder zurück bist.«
    »Auf jeden Fall. Mach’s gut.«
    Nikita legte auf, schaltete den Wasserkocher ein und rauchte am offenen Küchenfenster eine Zigarette. Diesem Anruf würde wohl
     keine weitere Kontrolle folgen. Jetzt war eine Woche Ruhe.
    Er hatte noch zwei Stunden. Er goß sich Tee ein, legte eine Kassette in sein kleines Diktiergerät und setzte Kopfhörer auf.
    »Ich wollte immer der erste sein«, verkündete derselbe befehlsgewohnte Bariton auf dem Band. »Von Kindheit anwollte ich mein Recht darauf beweisen, mir selbst und anderen. Das ist schwer, Alter, du kannst dir nicht vorstellen, wie
     schwer.«
    Vor anderthalb Monaten, als die Aufnahme entstand, war jedem »Alter« wie auf Kommando ein Schulterklopfen gefolgt.
    »Dein Recht worauf?« hörte Nikita sich selbst fragen.
    »Auf Leben. Auf ein gutes, angemessenes Leben. Auf Macht, wenn du so willst.«
    »Macht über wen?«
    »Über andere. Verstehst du, das stand mir von Anfang an zu, aber eben nicht ganz. Ich bin ja unehelich geboren.«
    »Spielt das denn heutzutage noch eine Rolle?«
    »Kommt ganz drauf an. Mein Vater gehörte zur Parteielite. Ein hohes Tier.«
    »Ja, ich weiß. Das hast du oft genug erzählt.«
    »Ich habe immer mal was anderes erzählt. Ich war jung und dumm.«
    »Du hast gelogen?« fragte Nikita verständnisvoll, ohne jeden Spott.
    »Na ja, wer tut das nicht. Das mit meinem Vater, das ist die reine Wahrheit. Aber meine Mutter …«
    »Du hast erzählt, sie war Ärztin, Orthopädin oder so, nicht?«
    »Mann, hast du ein Gedächtnis, Alter! Das hätte ich nicht gedacht, ehrlich.« Die Stimme verriet Verwunderung, sogar ein wenig
     Enttäuschung. Oder Mißtrauen? Jedenfalls war unverkennbar, daß Nikitas gutes Gedächtnis ihm nicht behagte. Er schwieg eine
     ganze Weile; ein Feuerzeug klickte – offenbar zündete er sich eine Zigarette an –, dann sagte er nachdenklich: »Hätte ich
     etwa bei dir zu Hause, bei deinen intellektuellen Eltern und strengen Großmüttern erzählen sollen, daß meine Mutter Serviererin
     in der Sauna war?«
    »Warum denn nicht?«
    »Darum. Jetzt geniere ich mich nicht mehr, die Zeiten haben sich geändert, und wir beide haben die Rollen getauscht. Hätte
     ich mir etwa damals, vor zwanzig Jahren, vorstellen können, daß du, Rakitin, mal meine bescheidene Biographie für die Nachwelt
     festhalten würdest? Ich wollte ja schon immer ein Buch schreiben. Und das könnte ich auch, keine Frage.«
    »Warum hast du dann mich darum gebeten?« fragte Nikita leise.
    »Keine Zeit. Wie heißt es so
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