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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita
Autoren: Polina Daschkowa
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schön? Jedem das Seine. Ich mache Politik, und du schreibst Bücher. Du brauchst im Moment dringend
     Geld, es geht sozusagen um Leben und Tod. Also gebe ich dir eine Möglichkeit, welches zu verdienen. Und ich brauche eine erstklassige
     Biographie und will nicht, daß die irgendein namenloser Journalist zusammenschmiert. Das Buch über mich soll ein Schriftsteller
     schreiben. Ich zahle anständig, also sei so gut und bediene mich anständig.« Ein gesundes, herzhaftes Lachen – dann sagte
     Nikitas Gesprächspartner, wieder ernst: »Nimm’s mir nicht übel, Alter. War nur ein Scherz.«
    »Ich weiß deinen Humor zu schätzen. Hör mal, aber warum die Geheimhaltung? Warum darf niemand wissen, woran ich gerade arbeite?«
    »Das Ganze soll eine Überraschung werden für die breite Öffentlichkeit.«
    »Na schön«, sagte Nikita nachdenklich und dachte: Du lügst, Alter. Du würdest nur zu gern ausposaunen, daß der Schriftsteller
     Viktor Godunow sämtliche eigenen Pläne beiseite gelegt hat, um ein Buch zu schreiben über deine wertvolle Person, weil deine
     Biographie weit interessanter ist als die kühnsten Phantasien von Godunow. Aber du hältst unseren Bund geheim, und zwar aus
     Angst, daß eine bestimmtePerson davon erfährt. Der Mensch, der dir wichtiger ist als jeder andere. Deine Frau. Ihr würde es ganz und gar nicht gefallen,
     daß ich dich, wie hast du gesagt – »bediene«; sie würde dir eine Menge überflüssiger Fragen stellen, die zu einem ernsthaften
     Ehekrach führen könnten. Irgendwann wird sie es natürlich sowieso erfahren. Doch dann ist das Buch schon fertig …
    »Also, was ist mit deiner Mutter?«
    »Meine Mutter? Sie war Serviererin. Du weißt schon, eine von denen, die mit Spitzenschürzchen und Tablett in den Ruheraum
     kommen. ›Einen Tee, Pjotr Iwanowitsch?‹ Und außer dem Spitzenschürzchen haben sie nichts weiter an. Höchstens noch eine Schleife
     im Haar. Ja, so wurde ich gezeugt, im Saunaschweiß, beim Samowar. Ein Nomenklatura-Halbblut.«
    »Wäre das nicht ein schöner Titel?«
    Kräftiges, herzhaftes Lachen. Nikita erinnerte sich noch genau, wie sein Gesprächspartner ihn anschließend mit bösen, glasigen
     Augen angestarrt hatte.
    »Das ist kein Stoff für Scherze, Alter. Das ist mein Schmerz.«
    Ein leises Klacken – er zündete seine erloschene Zigarette wieder an, dann lief er im Zimmer auf und ab.
    »Unter Chruschtschow hatte mein Vater einen kleinen Posten im Gebietskomitee der Partei. Ich bin siebenundfünfzig geboren,
     wie du weißt. Vierundsechzig, nach Chruschtschows Sturz, wurde der gesamte Parteiapparat umgekrempelt. Mein Papa stieg auf,
     er sollte Erster Sekretär werden, doch da hat irgendein Schwein ihn bei Breshnew denunziert, von wegen, dieser Kommunist hat
     Probleme mit der Moral. Er hat ein außereheliches Kind mit einem Saunamädchen. Er dachte, Breshnew würde derart offenkundige
     Unzucht verurteilen, aber im Gegenteil,Breshnew hat gesagt: ›Der Mann hat ein großes Herz, fremdgehen tut jeder mal, aber viele verleugnen anschließend ihre Kinder,
     er dagegen hat seinen Sohn anerkannt. Ein guter Mensch.‹ Mein Vater wurde gleich an Ort und Stelle, am Bankettisch im Jagdhaus,
     als Erster Sekretär des Gebietskomitees von Sinedolsk bestätigt. Im Grunde hatte Papa seine Karriere also mir zu verdanken.
     Und das hat er bis zum letzten Tag nicht vergessen. Hinzu kam, daß mein Halbbruder, sein einziger legitimer Erbe, stark zu
     trinken anfing. Er war schon fünfundzwanzig, mochte weder arbeiten noch studieren, sorgte dauernd für Skandale: Mal zerschlug
     er im Restaurant eine Fensterscheibe, mal langte er vor aller Augen einer Provinzschauspielerin unter den Rock. Einmal hat
     er in Moskau im Haus der Kunstschaffenden einfach in den Flügel gepinkelt.«
    »Und was ist aus ihm geworden?« unterbrach ihn Nikita.
    »Aus wem? Aus dem Flügel?« Wieder lachte sein Gesprächspartner herzhaft.
    »Was aus dem Flügel wurde, ist klar. Und dein Halbbruder?«
    »Na, ist doch auch klar. Der hat sich um den Verstand getrunken. Sitzt in einer teuren Psychiatrie und sieht kleine grüne
     Krokodile.« Ein kurzes Lachen, dann wurde die Stimme ernst und nachdenklich. »Überhaupt, Alter, die Familiengeschichte muß
     genau überlegt sein. Das ist das allerschwierigste. Wer mein Papa war, weiß die ganze Region. Lügen ist also ausgeschlossen.
     Aber die ganze Wahrheit geht auch nicht. Die ist nämlich nicht besonders schön. Er war damals fast fünfzig, und
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