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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita
Autoren: Polina Daschkowa
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reicht.« Er schob ihre Hand mit dem Eis beiseite. »Gehen wir schlafen. Morgen ist ein schwerer Tag.«
    »Natürlich wird das ein schwerer Tag, wenn du mitten in der Nacht Anrufe kriegst. Was ist passiert?«
    »Diese Idioten …« Er schlang die Arme um sie und preßte sein nasses Gesicht gegen ihren Morgenmantel. »Ein Berater des Präsidenten
     hat in Moskau im Casino zuviel getrunken, sie mußten ihn nach Hause bringen, haben ihn aber unterwegs verloren«, murmelte
     er undeutlich, »doch was kümmert dich das, mein Mädchen? Komm schlafen.«
    Als sie wieder im Bett lagen und das Licht gelöscht hatten, dachte sie: Er ist tatsächlich erschöpft. Wer wäre das an seiner
     Stelle nicht? Der harte Wahlkampf voller Schmutz und Intrigen; höchstens fünf Stunden Schlaf, und das zwei Monate lang. Reisen
     durch die gesamte riesige Region, endlose Meetings, Wählerforen. Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen. Siebenundsechzig
     Prozent der Stimmen – ein klarer Sieg. Aber er war mit den Nerven am Ende, und der Kopf tat ihm bestimmt auch weh. Er hatte
     ziemlich dumm und ungeschickt geschwindelt.
    Alle Berater des Präsidenten, mit denen er befreundet war, kannte Nika persönlich, und keinen dieser seriösen, vorsichtigen
     Männer konnte sie sich sinnlos betrunken durch Moskau irrend vorstellen. Selbst wenn so etwas passiert war – warum sollte
     ausgerechnet Grischa, eben erst zum Gouverneur der Region Sinedolsk gewählt, von Sibirien aus versuchen, ein so absurdes fremdes
     Problem zu lösen, und dabei noch vor Nervosität in kalten Schweiß ausbrechen?
    »Hast du das Handy ausgeschaltet?« murmelte sie und rollte sich zur Wand.
    »Natürlich.« Er drehte sie heftig, beinah grob zu sich um. »Nika, liebst du mich?«
    »Ich liebe dich sehr, Grischenka.«
    »Sag mir das öfter, mein Mädchen.«
     
    Der nächste Anruf aus Moskau kam kurz nach sieben. Nika schlief noch fest und hörte nicht, wie das Handy auf dem Bettläufer
     klingelte, wie ihr Mann aus dem Bett schlüpfte und auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schlich, und ebenso entging ihr, daß er
     nach diesem zweiten, längeren Gespräch noch nervöser wurde. Nun lief ihm der Schweiß in großen Tropfen übers Gesicht und rann
     ihm in den Kragen seines Seidenpyjamas.
    Die Beule am Kopf tat unerträglich weh. Er ging hinaus auf den Balkon, sog gierig die kalte, feuchte Luft ein und erstarrte
     für einige Minuten, die Nüstern gebläht, die Augen fest zusammengekniffen und die Fäuste schmerzhaft geballt.
    Bis zur Amtseinführung blieben noch sieben Tage.
     
    Ein Pedant wäre in dieser Nacht auf dem Leningrader Prospekt vor dem Sportgeschäft umgekommen, und die Moskauer Kriminalitätsstatistik
     hätte statt groben Unfugs,begangen von angetrunkenen Banditen in einem Jeep, einen weiteren Auftragsmord registriert.
    Ein Pedant wäre auf jeden Fall umgekommen. Der chaotische Rakitin aber blieb am Leben. Er war auf seinen offenen Schnürsenkel
     getreten und hatte sich den Bruchteil einer Sekunde vor den Schüssen auf dem Asphalt langgelegt. Dann war das Milizauto um
     die Ecke gekommen.
    Das Krachen und Heulen löste seine Erstarrung. Er sprang auf und vergaß sein aufgeschlagenes Knie. Er glaubte, der Jeep sei
     zurückgekommen, für einen Kontrollschuß. Doch es war nur die Schaufensterpuppe aus dem Fenster gefallen. Sie hatte die für
     Rakitin bestimmten Kugeln abgekriegt.
    Humpelnd stürzte Nikita in den Hof hinterm Laden. Das war wahrscheinlich ein Fehler. Erstens hätte er nicht weglaufen sollen,
     sondern auf die Kriminalisten warten, damit sie ein Verfahren wegen versuchten Mordes einleiten konnten. Zweitens, wenn er
     schon weggelaufen war, dann hätte er auf keinen Fall nach Hause gehen sollen – schließlich wußte er genau: Sie würden wiederkommen
     und ihren Job zu Ende bringen. Jeder normale Mensch hätte vor allem überlegt, wo er sich verstecken konnte.
    Aber ein normaler Mensch fiel auch nicht über seine eigenen Schnürsenkel.
     
    Fedja Jegorow sah ständig das Gesicht des Gurus vor sich. Die schmalen Augen wirkten wie Schlitze, ganz schwarz, ohne Augäpfel.
     Durch diese Schlitze in dem platten Gesicht, das trübe war wie der Wintermond, beobachtete die große kosmische Leere den Jungen.
     Fedja krümmte sich zusammen, rollte vom Krankenhausbett auf den Boden, und seine Beine verflochten sich von selbst. Im Lotossitz
     begann er sich zu wiegen und zu brummen. Nur so wichdas Entsetzen und hinterließ lediglich dumpfe Kopfschmerzen.
    Manchmal
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