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Fucking Berlin

Fucking Berlin

Titel: Fucking Berlin
Autoren: Sonia Rossi
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über Familie, Freizeit oder sonstige Ereignisse der Weltgeschichte. Das ganze Team wäre wahrscheinlich tot umgefallen, wenn sie gewusst hätten, was ich nebenbei machte, ja, mir selber kamen der Puff und meine dortigen Kunden immer mehr wie eine Parallelwelt vor.
    Umso drastischer war die Umstellung, wenn ich samstags ins Bordell ging, um mein mageres Praktikantengehalt aufzubessern. Die Mädchen dort fragten mich begierig über meine Arbeit aus, und auch wenn sie mit den meisten Fachbegriffen nichts anfangen konnten, so waren sie doch begeistert von der Tatsache, dass eine von ihnen dabei war, die Kurve zu kriegen. Ich selbst war tatsächlich stolz und froh, im beruflichen Bereich meines Lebens nicht mehr nur auf meine Brüste und auf meinen Arsch reduziert zu werden. Während der Jahre im Rotlichtmilieu war dies vielleicht meine größte Angst gewesen: dort für immer hängen zu bleiben.
    Auf der anderen Seite vermisste ich bei meinem Praktikum manchmal die familiäre Atmosphäre, die in den meisten Puffs herrschte. Im Büro quatschten die Leute nur in den Pausen miteinander, während der Arbeitszeit hingen meine Kollegen emsig am Telefon, über Akten oder starrten auf ihre Monitore, und die Kommunikation beschränkte sich auf projektbezogene Fragen. Es gab keine Lästerei über Männer, keine Sexgespräche beim Frühstück, keine dreckigen Witze. Manchmal fiel mir plötzlich die eine oder andere lustige Szene aus meinem »zweiten« Leben ein und dann musste ich unwillkürlich lachen.
    »Was ist denn so lustig?«, fragte mich Frauke, die neben mir saß, bei einer dieser Gelegenheiten. »Oh, nichts«, antwortete ich nur und las weiter meine Geschäftsmails.
    Frauke war immer ausgesprochen nett zu mir und erkundigte sich oft nach meinem Sohn, doch von meinem Doppelleben hätte ich ihr nie erzählt, genauso wenig wie den anderen im Büro. Obwohl ich mich vom Team gut integriert fühlte, trennte mich noch ein tiefer, für die anderen nicht zu ahnender Graben vom normalen Bürovolk. Sie hatten alle ganz normal studiert und währenddessen nebenbei als Kellner oder in einer Fabrik gejobbt. Die meisten waren heute verheiratet und hatten Kinder. Zuweilen wünschte ich mir, eine von ihnen zu sein, jemand, der gar nichts vom Rotlichtmilieu weiß und am Wochenende mit der Familie nach Rügen fährt, anstatt in einem Puff zu sitzen. Doch genauso oft kam mir in den Sinn, dass manche meiner männlichen Kollegen bestimmt schon mal in einem Bordell gewesen waren, obwohl sie es natürlich nie zugegeben hätten. Dieser Gedanke überzeugte mich letztendlich davon, dass es diese heile Welt, von der ich immer geträumt hatte und auch jetzt noch manchmal träumte, gar nicht gab.
    »Eine Sache verstehe ich nicht: Was zum Teufel machst du noch mit deinem Mann?«, fragte mich Sebastian, ein Stammkunde von mir, nachdem ich ihm während einer Stunde von meinem neuen Leben erzählt hatte. Wir lagen auf dem großen Bett in Zimmer fünf, das gefüllte Kondom hing noch an seinem mittlerweile schlaffen Glied, obwohl der Sex längst schon vorbei war.
    »Kann man nach einigen Jahren Ehe einfach so einen Schlussstrich ziehen und neu anfangen, als ob nichts gewesen wäre?«, entgegnete ich seufzend.
    »Alles ist vergänglich. Am Ende bleibt von uns nicht vielmehr als ein Haufen Knochen, sogar unsere massivsten Bauwerke verwandeln sich irgendwann in Ruinen und werden unter Erdschichten begraben«, erklärte er leidenschaftlich – er war Architekt. Dabei fixierte er die rote Papierlampe, die von der Decke hing, als würde er sich fragen, was wohl aus ihr werden würde, wenn wir schon längst nicht mehr auf der Welt wären. Ich kannte ihn schon ein paar Monate und fand ihn angenehm, weil er beim Sex keine großen Ansprüche hatte und das Gelaber danach umso mehr liebte.
    »Was interessieren mich Gebäude. Ich rede von Menschen.« Ich stand auf und zog meine Unterwäsche wieder an, denn die Stunde, die er gebucht hatte, war fast um.
    »Ich habe mich letztes Jahr nach fünfzehn Jahren Ehe scheiden lassen«, erzählte er ernst, während er sein Geschlechtsteil im Waschbecken wusch. »Heute weiß ich: Ich hätte mich schon viel früher trennen sollen, dann wäre vieles einfacher gewesen.«
    Im Raucherraum verteilte Miriam, die Besitzerin des Ladens, später am Tag gute Ratschläge. »Ich rede aus Erfahrung, Mädels: Schnappt euch einen Kerl, bevor es zu spät ist. Egal, ob er hübsch oder interessant ist, Hauptsache, er hat einen sicheren Job, ist
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