Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde
Autoren: Thomas Sautner
Vom Netzwerk:
die Kraft verlässt; fürchtete, wie der Bergsteiger vor der Lawine, die er kommen sieht. Giorgio fürchtete sich vor dem Leben und vor der Welt. Er fürchtete sich vor dem Aufwachen und vor dem Schlafengehen. Er fürchtete sich vor den Menschen, die auf ihn zukamen und er fürchtete sich vor jenen, auf die er zuging. Giorgio fürchtete sich fast immer. Und weil er sich so sehr fürchtete, hatte er eine dicke Panzerhaut um sich gezogen. Die gab ihm Schutz und war ganz warm. Sie lag dicht um seinen Körper und er sah sie gern von innen an. Das war ein schöner Anblick und es ließ sich darin versinken. Die Panzerhaut war elastisch und milchig. Umrisse der Welt konnte man durch sie erkennen, schemenhaft, nicht mehr. Und das war gut so. Ganz selten passierte es, da löste sich die Panzerhaut wie von selbst auf. Für kurze Zeit tat sie das, aber nur dann, wenn ganz sicher keine Gefahr drohte, wenn es angenehm warm draußen war und ihm niemand auch nur das Geringste zu Leide tun wollte. Dann, nur dann, löste sich seine Panzerhaut auf.
    Du fragst dich, woher ich das weiß, mein kleiner, schlauer Fuchs? Du hast Recht, Giorgio hätte es mir nie und nimmer erzählt. Es war umgekehrt: Ich habe es ihm erzählt. Eines Abends habe ich es getan, als wir wieder einmal beieinander saßen. Giorgio und ich saßen gern beieinander. Vielleicht, weil wir beide nicht viel redeten und doch Gesellschaft mochten. Ich sagte Giorgio, dass er sich keine Gedanken machen müsse wegen seiner Schweigsamkeit. Damit sei er im Waldviertel gut aufgehoben. Ich habe ihm verraten, dass man hier bei uns ohnehin nicht viel auf das Reden hält. Auf die einfachen Dinge des Lebens zu viele Worte zu verschwenden ist idiotisch, hab ich gesagt. Und für die wirklich wichtigen Dinge zwischen Himmel und Erde fehlen uns sowieso die Worte. Die wirklich wichtigen Dinge lassen sich ohnehin nur fühlen und nicht aussprechen. Da hat Giorgio geschmunzelt und dabei hat sich seine Panzerhaut aufgelöst. Also hab ich zu ihm gesagt: »Schön, dass sich deine Panzerhaut aufgelöst hat.« Und er hat mich gefragt, woher ich von seinem Panzer weiß. Darauf hab ich ihm wiederum erzählt, dass ich auch einmal so eine Panzerhaut hatte. Dann gab ein Wort das andere und wir haben so richtig miteinander geredet. Aber dann waren wir ohnehin wieder ruhig.
     
    Giorgio und seine Frau Hanna haben mit unserer Hilfe ein kleines Holzhaus gebaut, ganz in der Nähe von unserem. Kaum war das Haus so richtig eingeweiht, hatte es auch schon eine neue Bewohnerin. Giorgio und Hanna bekamen nämlich ein Töchterlein. Die Kleine hieß Esther und wurde von ihren jungen Eltern so sehr mit Liebe eingehüllt, dass es dem Mädchen sicher auch im tiefsten Winter nie kalt wurde.
    Das sahen nicht alle so im Dorf. Besonders der Pfarrer tat immer schrecklich besorgt um das Wohl der Kleinen.
    Ob sie denn auch genügend zu essen bekomme, macht er sich Gedanken. Und dass sie doch sicher friere in dem windschiefen Bretterverschlag. Ihre Kleidung wäre ja auch nicht die beste, was schließlich kein Wunder sei, wo doch die Eltern keinem ordentlichen Beruf nachgingen, sondern von der Hand in den Mund lebten. Und der Vater, der Vater täte doch wirklich gut daran, sich einmal in einer dieser psychiatrischen Anstalten auf Mark und Bein untersuchen zu lassen. Ja, das riet der Pfarrer händeringend und mit heiliggütigem Gesicht. In den Wehklang stimmte auch der neue Bürgermeister mit ein, der unseren Nachbarn Gerhard nach der ersten freien Wahl leider abgelöst hatte und dessen Partei mindestens so christlich tat wie der Papst im fernen Rom.
     
    Je fürsorglicher sich der Pfarrer und der neue Bürgermeister um die kleine Esther sorgten, umso mehr Angst bekam Giorgio. Und so kam es, dass Giorgio seinen Blick nun wieder öfter als zuletzt auf das nahe Innere seiner Panzerhaut richtete und die anderen also glauben muss ten, er starre ins Leere und sei verrückt.

15.
    Als Hanna in die Stube trat, lag Giorgio mit gekrümmtem Rücken und eng angezogenen Beinen auf der hölzernen Eckbank. Den Kopf hatte er auf seine Hände gebettet. Die kleine Esther war nicht bei ihm.
    Im Ofen war das Feuer ausgegangen. Hanna konnte in der kalten Stube Giorgios Atem sehen, langsam strömte er aus seiner Nase. In diesem Moment zog sich Hannas Herz zusammen und ihre Hände öffneten sich. Zwei prall gefüllte Leinensäcke fielen zu Boden. Erdäpfel, Krautköpfe und Rüben polterten über die Bodenbretter, rollten bis in die Winkel des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher