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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde
Autoren: Thomas Sautner
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Ort haben daraufhin gesagt: Nur gut, dass diese Asozialen wenigstens das arme, unschuldige Kind nicht verziehen können.
    Irgendwann einmal kam dann der Brief von der Behörde, dass Esther im Heim tödlich »verunglückt« sei.
     
    Dieselben Leute haben auch versucht, Peter und Maria ihr Kind wegzunehmen. Peter hat sie so energisch aus dem Haus gejagt, dass er zu einer siebenwöchigen Haft verurteilt wurde und ab dann vorbestraft war. Manche im Ort haben daraufhin gesagt: typisch Jenische, nur Gerangel und Raufereien im Kopf. Aber zumindest hat sich der Pfarrer, der damals einen dicken Verband um seine himmelwärts gestreckte Nase trug, nicht mehr in die Nähe von Peters und Marias Haus getraut.
    Bei Maria allerdings ging damals der Keim der Angst auf. Und so brachte sie Peter dazu, anders als bisher, im Hitzling nicht mehr auf Reise zu gehen. Überhaupt sollte fortan nichts getan werden, was die Aufmerksamkeit der Gadsche hätte erregen können. Maria überredete Peter dazu, nicht mehr Messer schleifend und Obstbäume schneidend hausieren zu gehen, sondern Schichtarbeit in der Textilfabrik anzunehmen. Und sie selbst trug ab dieser Zeit, »um den Gadsche nichts zum Gadschen* zu geben«, wie sie sagte, nie wieder die jenische Tracht. Was soll ich dir sagen, mein kleiner Fuchs: Die Gesellschaft hatte erreicht, was sie wollte: Einer jenischen Familie mehr war das Jenisch-Sein ausgetrieben worden.
    Ihrem heranwachsenden Sohn Franzi, deinem Vater, mein kleiner Fuchs, verheimlichten Peter und Maria seine jenische Herkunft. Er sollte nicht unnötige Probleme bekommen und sich wegen seiner Abstammung schämen müssen vor den anderen Kindern. Maria und Peter bemühten sich, in Franzis Gegenwart kein jenisches Wort zu wechseln und nahmen mir und Frida das Versprechen ab, es ebenso zu halten. Um ehrlich zu sein, ich hielt mich nur daran, solange mich meine Tochter Maria nicht aus den Augen ließ. Als dein Vater schließlich doch von seiner jenischen Abstammung erfuhr – ich gebe zu, vielleicht ja auch wegen meiner versteckten Hinweise – hatte er bereits Gadsche als Freunde und legte weder Wert auf seine Herkunft noch auf unsere Tradition. Du solltest deinem Vater deswegen keinen Vorwurf machen. Er ist aufgezogen worden, als sei er kein Jenischer. Und als er schließlich feststellte, doch einer zu sein, teilte er längst die Meinung, die ohnehin allerorts zu hören war, dass nämlich bei uns Jenischen ja doch das Schändliche überwiege. Also vergrub er das Wissen um seine Herkunft in seinem Herzen und schwieg es vollends tot.
     
    Als dein Vater erwachsen wurde, begann er in der Glasfabrik zu arbeiten. Ehrlich gesagt, wäre es zu dieser Zeit auch schon schwierig gewesen, einem traditionellen jenischen Beruf nachzugehen. Denn mit dem Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre waren neue Fabriken und moderne Fertigungsanlagen entstanden, und die einfachen Handwerksarbeiten von uns Jenischen waren kaum mehr gefragt. Wenn Frida und ich auf dem Jahrmarkt standen, mit dem Schirm auf den Rücken gebunden, damit wir die Hände zum Handeln unserer Fetzen und Schnitzereien frei hatten, waren wir schon mehr Sehenswürdigkeit als ernstzunehmende Marktfahrer.
    Dein Vater jedenfalls lebte das Leben eines Sesshaften. Er ging jahraus, jahrein in aller Früh zur Arbeit. Am Abend, wenn es schon dunkelte, kehrte sein müder Körper heim. Hintennach schleifte er dabei jedes mal etwas Schweres mit sich, etwas, das ihn traurig machte, etwas, von dem er nicht wusste, dass es seine erschöpfte Seele war. Jede Woche wartete dein Vater fünf sinnentleerte Tage lang auf sein freies Wochenende.
    Als er schließlich den Frühling seines Lebens betreten hatte, verliebte er sich. Natürlich verliebte er sich, wie es sich für einen Sesshaften gehört: an einem Wochenende; also in jener engen Zeit, die für sein freies Leben bemessen war. Er verliebte sich in ein Mädchen, von dem er annahm, sie sei eine Gadsche. Doch als du auf die Welt kamst, mein kleiner Fuchs, da merkte bald jeder, dass heißes Blut in dir kochte. Schon als Baby wohnte die Unruhe in dir. Wenn dich dein Vater und deine Mutter in den engen vier Wänden einlullen und behüten wollten, warst du unausstehlich. Kaum aber warst du in der Natur, leuchteten deine Augen. Mit großer Ausdauer hast du die Flugbahnen der Amseln und der Schwalben verfolgt, hast deine Arme gehoben, um den Bienen bei ihrer Landung auf den Blüten beizustehen, hast fröhlich glucksende Geräusche von dir gegeben, wenn
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