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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde
Autoren: Thomas Sautner
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Zimmers.
    »Wo ist Esther?«, fragte Hanna laut und dabei zitterte ihre Stimme.
    Sie kniete vor Giorgio nieder, nahm ihn fest bei der Schulter, schüttelte ihn und wiederholte: »Giorgio, wo ist unsere Esther?«
    Giorgio rührte sich nicht. Er besah das sanfte Innere seiner milchigen Panzerhaut. Seine Augen waren weit geöffnet und leer bis zum Grund. Auf der Holzbank, unter dem Gesicht Giorgios, bemerkte Hanna einen nassen Fleck. An dessen Rand hatten sich die Tränen entlang der Maserung in das weiche Holz gegraben, wie dünne Rinnsale, die von einem Teich herrühren, und langsam versickern im losen Erdboden.
    »Giorgio«, weinte Hanna.
    Während sie ihren Mann behütend ganz fest in den Armen hielt, durchfuhren Zuckungen ihren zarten Körper. Sie streichelte Giorgio über den Kopf und verteilte Küsse über sein Gesicht. »Giorgio«, fragte sie immer wieder; ganz leise fragte sie es, »Giorgio, wo ist unsere Esther? Wo haben sie unsere kleine Esther hingebracht?«
     
    Die zwei Männer von der Fürsorge und der Herr Pfarrer hatten in »allerbester Absicht« gehandelt, wie sie sich vor ihrem Eingreifen gegenseitig mit verantwortungsvollem Gesicht immer wieder versichert hatten. Sie hatten abgewartet, bis Hanna hinter dem Hügel verschwunden war. Danach waren sie die wenigen Meter vom Heuschober, hinter dem sie sich versteckt gehalten hatten, bis zur Holzhütte gelaufen. Gerannt waren sie nicht, nein, das wäre ihrem ehrbaren Vorhaben nicht angemessen gewesen, wie sie fanden. Vielmehr waren sie mit federndem Schritt auf die Hütte zugeeilt und ihre schwarzen Mäntel hatten sich dabei im Novemberwind gebauscht. Dann hatten sie an die Tür der Holzhütte geschlagen und waren eingetreten, ohne lange eine Antwort abzuwarten. Es sei ja auch wirklich besser, hatten sie sich zuvor untereinander verständigt, die Sache zügig und ohne Umschweife zu einem guten Ende zu bringen.
    Giorgio war beim Tisch gesessen und hatte die kleine Esther im Arm gehalten, als die Männer plötzlich in der Stube standen. Der Pfarrer erklärte Giorgio mit gütiger Stimme und so, als spräche er zu einem verständnisschwachen Kind, dass es das Allerbeste für die Kleine wäre, in ordentlichen und geregelten Verhältnissen aufzuwachsen. Im Schoß der Kirche und unter der Obhut von liebevollen und verständigen Mitbrüdern und Mitschwestern werde es die kleine Esther stets gut haben, versicherte der Pfarrer. Sie werde nie Hunger oder Durst leiden müssen, nie frieren und überhaupt werde es ihr an nichts fehlen. Wenn er, Giorgio, wirklich ein verantwortungsvoller Vater sei, würde er das sicher einsehen, denn hier, sagte der Pfarrer und sah sich angewidert in der kleinen Stube um, hier würde das Kind ja früher oder später verkommen. Während der Pfarrer auf Giorgio einredete, rückten die beiden Männer von der Fürsorge immer näher an Giorgio heran. Wenn er kein Einsehen haben sollte, sagte der größere von ihnen und verschränkte die Arme vor seiner massigen Brust, dann hätten sie auch andere Möglichkeiten. Der Staat toleriere es nämlich nicht, wenn junge, unschuldige Geschöpfe in einem Umfeld aufwuchsen, in dem Betteln und Herumzigeunern an der Tagesordnung seien. »Oh nein, bei Gott nicht«, pflichtete der Pfarrer bei und der üppige Mann befand, dass man sich ja nur hier in der armseligen Hütte umzuschauen brauche, um zu erkennen, dass der Kleinen hier nichts geboten werde. Der Pfarrer nickte heftig und sprach von »Segen« und einem »Geschenk des Himmels«, dass die kleine Esther die Möglichkeit habe, wie ein ganz normales, glückliches Kind aufzuwachsen. Das müsse doch in seinem Interesse sein, wurde der Pfarrer nun energisch und rüttelte Giorgio an der Schulter.
    »Unterschreib hier«, sagte der schmächtigere der beiden Männer in strengem Ton und legte Giorgio ein dicht beschriebenes Blatt Papier auf den Tisch.
    »Ja, unterschreibe, mein Sohn«, sagte der Pfarrer, jetzt wieder mit weicher Stimme. »Unterschreibe und alles wird gut für dein Kind. Das verspreche ich dir im Namen des Herrn.«
    »Der Herr Pfarrer will nur das Beste für dein Kind«, sagte der hagere der beiden Männer und drückte Giorgio einen Stift in die Hand, während der Pfarrer Esther aus Giorgios zitternden Armen nahm.
    Dann beugte sich der Wuchtige von hinten über Giorgio und legte seine breite Hand über jene von Giorgio.
    »Hier musst du unterschreiben«, sagte er und drückte zu.
    »Genau hier.«
     
    * * *
     
    Fahrenden die Kinder wegzunehmen hat
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