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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde
Autoren: Thomas Sautner
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gegründete Ort einen wahrhaft funkelnden und fürstlichen Namen: Amaliendorf.
     
    * * *
     
    Leg noch zwei Scheit Holz in den Ofen, kleiner Fuchs. Weißt du, wenn jemand ein Lebtag lang gefroren hat, genießt er die Wärme umso mehr. Und dann setz dich zu mir. Ich weiß doch, dass du gekommen bist, um noch mehr zu hören. Ja, so ist es gut. Es wärmt schon, allein das Knacken des Holzes im Ofen zu hören. Früher wurde ja noch mit Torf geheizt. Aber das ist lange her. Das war, als deine Vorfahren hier herauf ins Waldviertel gekommen sind. Die älteste Geschichte über deine fahrenden Ahnen stammt aus jener Zeit, mein kleiner Fuchs. Wie könnte es bei uns anders sein, handelt die Geschichte von einer Reise. Allerdings einer ganz besonderen Reise.
    Es begann schon damit, dass es nicht deine Verwandten waren, die sich für die Fahrt entschieden hatten. Es war auch nicht ihr armseliger, klappriger Karren, mit dem sie fuhren. Diesmal reisten sie mit einem mächtigen Wagen; einem Wagen, der keinen Geringeren gehörte als den Habsburger Regenten und der von einem Kutscher gelenkt wurde, in dem blaues Blut floss. Der Name des Kutschers war Graf von Straßoldo. Die strengen Maßstäbe, die der Graf in Punkto Anstand und Ordnung anlegte, und zwar an sich zumindest ebenso wie an die gesamte Welt, für deren moralische Entwicklung er sich verantwortlich fühlte, diese Maßstäbe hatten ihm ein lästiges Leiden eingebracht. Es entlud sich des öfteren durch Nervenzucken in seinem Gesicht, was der Graf mit Haltung über sich ergehen ließ.
    Das Entscheidende aber, das diese Fahrt so außergewöhnlich machte, habe ich dir noch nicht erzählt, mein kleiner Fuchs. Das Entscheidende war: Diese Reise sollte die letzte deiner fahrenden Ahnen sein. Die letzte Reise von Menschen, deren ureigenste Lebensform seit Generationen immer nur das Reisen gewesen war. Es sollte die allerletzte Fahrt dieser Jenischen sein. So wollte es der Graf. So wollte es die große österreichisch-ungarische Monarchie. Aber du weißt ja, mein kleiner, schlauer Fuchs: Fahrende kann man nicht aufhalten, nicht auf Dauer. Ebenso wenig wie man Wasser aufhalten kann. Es findet seinen Weg.
     
    Graf Straßoldo plante ein politisches Meisterstück. Er wollte zwei Ärgernisse mit einer einzigen Maßnahme loswerden: Zum einen suchte die Monarchie nach einer Lösung für das »Zigeunerunwesen«. Wobei das Unwesen zumeist darin bestand, dass unsere reisenden Ahnen den eingesessenen Zünften allzu große Konkurrenz machten und sich die Bauern beschwerten, weil ihre dummen Henderln wie verhext hinter den Karren deiner Vorväter nachrannten und schließlich in deren Kochtöpfe stolperten. Die Obrigkeit und die phantasielosen, sesshaften Bürger nannten das dann Diebstahl. Neben diesem Zigeunerunwesen jedenfalls hatte der Graf das Problem, Land zu besitzen, das wegen seiner Wildheit und Unzugänglichkeit keinen Gewinn abwarf. Also kombinierte der Graf: Er hatte unbrauchbares Land und unbrauchbares Volk. Was lag da näher, als unbrauchbares Land durch unbrauchbares Volk brauchbar zu machen. Und umgekehrt.
     
    Um seinen Willen durchzusetzen, wählte der Graf eine seiner billigsten Waffen: Als sich eine Gelegenheit bot, deinen Vorfahren straffälliges Verhalten vorzuwerfen, ließ er die Richter noch strenger vorgehen als sonst. So setzte es diesmal nicht wie gewohnt eine Geldstrafe oder die üblichen Wochen hinter Gittern. Diesmal war es Kerker. Einzelhaft. Ein ganzes Jahr lang Trennung von der Familie. So erreichte der Graf, was er erreichen wollte: Er hatte deinen Vorfahren die Angst tief bis in die letzten Winkel ihrer Seelen gejagt. Diese Angst durchdrang sie so unerbittlich, dass sie deine Ahnen schließlich eintauschten. Und zwar gegen einen Zustand, den der Graf, weil er es nicht besser wusste, Freiheit nannte. Innerhalb von drei Jahren mussten deine Vorfahren Wälder roden, steinige Wiesen urbar machen, Sümpfe trockenlegen und danach – und das war das Schlimmste für sie – danach mussten sie Häuser errichten und sesshaft werden. Für immer. Kein Herumtreiberleben mehr, vorbei mit den Reisen und dem sittenlosen Dasein, wie der Graf es nannte. Diesmal kamen deine Verwandten nicht mit Haft davon, diesmal war es Sesshaft.
    Zwei, drei und vier Joch großer, karger Grund wurde ihnen geboten – einzutauschen gegen endlose Freiheit und den Besitz von allem, was Gott je für sie hat wachsen und gedeihen lassen auf Erden. Das Einzige, mein kleiner Fuchs, was deinen
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