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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde
Autoren: Thomas Sautner
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sie allerdings bereits in die Wiege gelegt bekommen: das Hexen. Hexen ist, wie du weißt, mein kleiner, schlauer Fuchs, ein durchaus brauchbares Geschenk der Götter. Mit Hexerei wurden schon viele brave Menschen von Unheil befreit, und etliche böse Menschen wurden in ihrem zerstörenden Treiben gebremst. Allerdings ist die Hexerei eine Kunst, die nicht nur Können verlangt, sondern, und das ist zumindest ebenso wichtig, große Weisheit. Mit der war deine Ahnin aber leider nicht gesegnet. Lilli war ungestüm und allzu jähzornig. Und so schleuderte sie ihre Verwünschungen ebenso wahl- und ziellos durch die Gegend, wie Zeus seine Blitze an einem schwülen Sommerabend. Weil sie dafür von ihrem Mann oft gescholten wurde, verschwieg ihm Lilli bald ihre Hexereien, die ihr, sobald sie ihr entfahren waren, oft selbst nicht ganz koscher waren. Und so kam es, dass sich auf ihrer Reise erst am Rückweg zeigte, wo Lilli Monate zuvor Ärger bereitet worden war: Es wimmelte nur so von ehemals gemeinen Gendarmen, geizigen Bauern, rabiaten Bürgern und lüsternen Burschen, die ihnen, nun sehr stumm und das Gesicht rasch abwendend, mit Eiterbeulen, Furunkeln und Geschwüren wieder begegneten.
    Als sich diese Wiedersehen einige Male zugetragen hatten, fragte Lillis Mann nicht mehr nach den Gründen für die Verwünschungen. Er rügte seine Frau auch nicht mehr. Er drehte sich nur kurz nach Lilli um, die gerade wie zufällig wegsah, schüttelte den Kopf und steuerte auf den jeweils armseligen Tropf zu. Lilli wusste dann, was sie zu tun hatte, um ihren Mann zu besänftigen. Sie sprang vom Karren und gab heilende Salbe, lindernde Kräuter und schmerzstillendes Wurzelpulver. Wieviel Geld sie den Gadsche { * } dafür abknöpfte, erzählte sie ihrem Mann nicht. Sie tat die Einnahmen einfach in die gemeinsame Schatulle. So falle ihr Geschäft mit den zuerst aus Zorn verhexten und dann aus Liebe – Liebe freilich nur zu ihrem Mann – geheilten Opfern nicht auf, dachte sie.
    Zu verheimlichen versuchte sie ihrem Mann auch, wie sehr die vielen Verwünschungen sie auszehrten, wie viel Seelenkraft sie sie kosteten – auch die rettenden Gegenzauber, die neben den Tinkturen und Mixturen für eine Heilung unabdingbar waren.
     
    Dass Lilli zu spät die nötige Ruhe und Weisheit fand und zu lange verschwenderisch mit ihrer Gabe und ihrem Ärger umgegangen war, zeigte sich, als sie schon nach vierzig Wintern schwer krank wurde und ihren Körper mit jenen Furunkeln, Beulen und Geschwüren übersät fand, die sie einst anderen an den Hals und wer weiß wo sonst noch hin gewünscht hatte. Als ihre teils erwachsenen Kinder sie knapp vor ihrem Tod fragten, wie dieses Unheil nur über sie kommen konnte, da sie doch besser als alle anderen mit Hexerei, Heilkräutern und Kobolden umzugehen wisse, hieß Lilli ihre Kinder eine einfache Übung sehr, sehr sorgfältig zu machen. »Lasst eine Eisenkugel auf eine Marmorplatte fallen«, sagte sie und lächelte bitter.
     
    Hast du das schon einmal gemacht, mein kleiner, schlauer Fuchs? Hast du schon einmal eine Eisenkugel auf eine Marmorplatte fallen lassen? Es ist eine sehr lehrreiche Lektion über Aktion und Reaktion. Denn merke dir, mein kleiner Fuchs: Alles, was du im Leben tust, hat Konsequenzen. Für dich und für deine Umwelt. Mag es dir noch so klein und nichtig erscheinen – mit allem, was du tust, bist du Quell für Neues. Und das Schöne ist: Du bekommst jeden Tag, ja sogar jede Minute, das Geschenk, dich für Gut statt Böse, für Liebe statt Hass zu entscheiden.
     
    Unsere Urahnin Lilli hat sich nach ihrem Tod ganz dem Guten zugewandt. Als Mulo* konnte sie zwar noch eine Generation lang das Hexen auf Erden nicht lassen, und sie mischte sich immer wieder in den Lauf der diesseitigen Dinge ein. Doch stets tat sie es in großer Weisheit und Liebe. Und nie wieder zu irgendjemandes Schaden.

3.
    Luca Resulatti wollte nicht das Leben führen, das für ihn bestimmt war. Er wollte auch nicht auf den Tod warten, der für ihn vorgesehen war. Er wollte nicht enden wie sein Großvater. Der war als Korberkind geboren worden, hatte sein Leben lang nichts anderes getan als Körbe zu flechten, und er war auch als Korber gestorben – und wie ein Korber: im Schneegestöber einer zu kalten Novembernacht. Dabei war Luca Resulattis Großvater keinesfalls ein trauriger Mensch gewesen. Und wenn ihn hin und wieder doch die Traurigkeit überkam, dann lenkte er sich ab, indem er seinem Enkelkind, das ihm zugefallen war,
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