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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde
Autoren: Thomas Sautner
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begann, schoben sich die Falten seines Doppelkinns übereinander wie die Lappen einer alten, speckigen Ziehharmonika. »Verschwindet sofort vom Gemeindegebiet, wenn ihr keine Wandererlaubnis und kein Hausierbuch habt«, keifte er, nahm den Holzknüppel von seinem Gürtel und ließ ihn ein paar Mal lässig in die flache Hand klatschen. Lilli hatte keine Angst. Sie war zornig, und das war der Grund, warum sie erwog, die beiden zu verhexen. Sie hätte ihnen Kröpfe wachsen lassen können oder eitrige Furunkel. Beides womöglich. Freilich wusste sie, dass das Kraftverschwendung wäre, denn der Zauber würde keinesfalls rasch genug wirken, um die Gendarmen zu vertreiben. Weit schwerer aber noch wog, dass sie die Flüche viel, sehr viel Kraft kosten würden. Kraft, die ihr und ihrem Ungeborenen, das immer heftiger nach draußen ins Leben drängte, bei der nahen Geburt fehlen würde. Und dennoch war die Versuchung für Lilli groß, die beiden Fettwänste für ihre Gemeinheit noch mehr zu strafen als es Gott, für jedermann offensichtlich, ohnehin bereits getan hatte.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte da Lillis Mann, der ihren Holzkarren zur Nachtrast am Tag davor in alter Übung und mit Vorbedacht an einem Grenzstein angehalten hatte. »Komm Lilli«, sagte er in ruhigem, fröhlichem Ton, »steh auf, wir rücken ein bisschen herüber auf Zwettler Boden, zur anderen Gemeinde.«
    Es hatte schon Nächte gegeben, in denen es bis zum Morgengrauen so ging: von einer Gemeinde in die andere, und wieder retour. Für die beiden Gendarmen war der einfache Trick neu. Die rasche Lösung der Angelegenheit irritierte sie. Also setzten sie sich einige Meter neben dem Karren der Jenischen ins Gras, und es dauerte eine Weile bis sie schließlich begreifen mussten, dass ihnen nun von Gesetzes wegen keinerlei Handhabe mehr gegen die Fahrenden blieb. Für Lilli dauerte die Nachdenkpause der beiden zu lange. Ihr Kind wollte nicht länger warten. Und da die beiden Gendarmen keine Anstalten machten, sich auch nur ein paar Zentimeter von der Stelle zu bewegen, lief sie, ihren prallen Bauch mit den Händen haltend, auf den nahen Hügel und verschwand hinter ein paar Haselnusssträuchern. Keine halbe Pfeifenlänge verging, da tauchte sie wieder auf. Ihr Mann, ihre Kinder und die beiden Gendarmen sahen sie vom Hügel herunterkommen. Ihre nackten Füße schienen über die Wiese zu schweben. Ihre Sohlen streichelten vom Himmel her das Gras. Ihr offenes, rabenschwarzes Haar war eins mit dem Wind und ihre goldenen Ohrringe glänzten im Sonnenlicht. Sie hatte ihren knöchellangen, schmetterlingsbunten Rock nach oben gerafft, sodass man ihre schönen Beine bis weit über die Knie sehen konnte. Lillis Gesicht war Entspannung und ihr Lachen der Frühling. Im Rock trug sie ihren Sohn. Zu Ehren des Ururgroßvaters, der einst im Moor versunken war, als er für die Familie Land gesucht hatte, sollte er Franz heißen.
     
    Fünf Wochen war es nun her, dass sie von Amaliendorf aufgebrochen waren. Während der ersten Frühlingstage hatten sie ihr Hab und Gut und all die Tandlerwaren, die in den letzten Monaten fabriziert worden waren, auf den Karren gepackt. Sie hatten ihrem guten, alten, zotteligen Hund das Geschirr umgelegt, damit er beim Ziehen helfen konnte, und waren Richtung Süden aufgebrochen. Den ganzen langen Winter über hatten die Frauen und Mädchen aus unansehnlichen Fetzen, aus Stoff- und Wollresten bunte Kleider, hübsche Schürzen und Tischdecken, schöne Westen und Umhänge gezaubert, hatten gestrickt und gehäkelt. Hatten die unzähligen getrockneten Heilkräuter sortiert, die sie im Wald und im Moor gesammelt hatten, bevor der Schnee die Landschaft so fest einschloss, als wollte er sie nie wieder freigeben. Sie hatten die Kräuter im hölzernen Mörser zerstampft und sie anschließend fein säuberlich in kleine Stoffsäckchen verschnürt. Die Männer und die Buben wiederum hatten Holz mit Flacheisen und Feilen bearbeitet, auf dass handelbare Holzschuhe daraus würden, sie hatten unzählige Besen gebunden, mehrere Dutzend Körbe und Schwingen geflochten und kurzstielige Pfeifen geschnitzt.
    Gemeinsam war die ganze jenische Sippschaft bei der Arbeit in der kleinen Stube zusammengehockt, dem einzigen Zimmer im Haus, das dank des behelfsmäßigen Ofens und des darin verheizten Torfs zumindest so warm gehalten werden konnte, dass man den eigenen Atem nicht mehr sah. Was aber noch behaglicher wärmte, waren die Geschichten und Märchen, die von der
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