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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde
Autoren: Thomas Sautner
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knöchrigen Daumen die grünen Triebe aufs Neue abstreifte, konzentrierte sie sich darauf, dass dieser Erdapfel dazu bestimmt war, Glück zu bringen. Vielleicht hundert Mal wurde der Erdapfel auf diese Art von der Alten mit Liebe und Energie aufgeladen. Je älter und somit kleiner, runzeliger und härter er wurde, desto mehr Kraft wohnte in ihm.
    Als er schließlich gut ein halbes Jahr später in die Rocktasche von Lillis Mann plumpste, war er kein gewöhnlicher alter Erdapfel. Er war Schutzschild und Glücksbringer zugleich: Er bewahrte seinen Besitzer und dessen Liebste vor dem schlimmsten Unglück und half dem Glück etwas nach, wenn es nötig war. Außerdem stand die Familie dank des Erdapfels stets unter dem Schutz der Ältesten. Wenn sie sich einmal alleine fühlten, nahmen sie den Erdapfel, reichten ihn in der Runde herum, ließen ihn zwischen ihren Fingern tanzen, befühlten ihn, rochen an ihm, nahmen ihn fest in ihre Faust: Lilli, ihr Mann und die Kinder. Und dann wussten sie, dass die Älteste und mit ihr die ganze Sippe bei ihnen war. Dann wussten sie, dass alles gut war und dass ihnen nichts geschehen konnte.
    Ich finde es schön, dass du nicht lachst, wenn ich dir diese Geschichte erzähle, mein kleiner, schlauer Fuchs. Als ich sie dir das erste Mal erzählte, konntest du dein Kichern nicht zurückhalten. Doch inzwischen bist du älter geworden und ich weiß, dass auch du die Kraft des Glückserdapfels mittlerweile zu schätzen weißt.
     
    Kannst du dich noch erinnern, wann der Erdapfel auf dieser Reise zum ersten Mal seine Wirkung tat? Zum ersten Mal schüttete er Glück aus, als ihn Lillis Mann kurz nach der Abreise in seiner Rocktasche entdeckte. Als er nach seiner Pfeife greifen wollte, rollte ihm der Erdapfel in die Hand. Kaum hatten seine Finger das runzelige Etwas ertastet, begriff er: Die Älteste hatte an ihn und seine Familie gedacht. Sie hatte einen Glückserdapfel reifen lassen, auf dass ihnen nichts geschehen konnte, auf dass sie wohl behütet seien. Lillis Mann durchrieselte das Glück. Er behielt die Hand in der Tasche, umfasste den Erdapfel, und mit einem Mal ließ sich der Wagen leichter ziehen, mit einem Mal war die Angst verflogen, die ihn die letzten Kilometer begleitet hatte, und der Zweifel, ob diese Wanderschaft nicht zu beschwerlich sein würde für seine schwangere Frau und die kleinen Mädchen. Nein, nun war alles gut. Mit einem Mal war er voller Zuversicht. Als er sicher war, dass seine Augen nicht mehr allzu sehr glänzten, hielt er an, drehte sich zu Lilli um, die mit den Kleinen am Karren saß, lachte sie an und sagte: »Ich liebe dich.« Ab diesem Moment hatte auch Lilli keine Angst mehr.
    Ja, mein kleiner Fuchs. Das war das erste Mal, dass der Erdapfel seine Wirkung getan hatte.
     
    Wenige Wochen später, es war im Morgengrauen, da setzten Lillis Wehen ein. Und bald darauf, als die Sonne eine Handbreit über den Wipfeln stand, fiel ein gesunder, kräftiger Bub aus Lillis Schoß. »Wurde auch Zeit«, sagte ihr Mann und lachte, als ihm Lilli nach drei Mädchen den ersten Buben entgegenstreckte.
    So leicht die Geburt dank der wochenlang zuvor eingenommenen Kräutermixturen und der aufgetragenen Heilsalben verlief, so mühsam zäh verrann die Zeit knapp davor. Denn deine Vorfahren waren von zwei Gendarmen aufgehalten worden, die Streit anfangen wollten. Deine Ahnen wussten nach nur wenigen Augenblicken, dass es sich um armselige und mit sich selbst unzufriedene Menschen handelte. Sie verrieten sich, wie sich alle unglücklichen Kreaturen verraten: durch Hass, Wichtigtuerei und Neid. Gottlob hatte sich Ullis Mann schon viel Lehrreiches von der Ältesten abgeschaut und darum wusste er, wie zu handeln war. Es ist sinnlos, solche Menschen bekehren zu wollen, denn das provoziert sie nur und ist der Mühe nicht wert. Unnütz ist es auch, mit der Faust zu antworten, das verlängert nur den Ärger. Also ging Lillis Mann den Weg des Raben. Du weißt doch: Der Rabe ist unscheinbar, er trägt kein buntes Kleid. Und doch steckt er voller Intelligenz und eleganter List. Lillis Mann machte nicht viel Aufsehen. Er ging sowohl mit seinen Nerven als auch mit seinen Muskeln sparsam um. Er tat nicht mehr und nicht weniger, als nötig war: Er zog seinen Karren ein paar Meter über die Gemeindegrenze – und damit aus dem geistigen Horizont der plötzlich nicht mehr zuständigen Gendarmen.
    Auch Lilli hatte viel von der Ältesten mitgegeben bekommen. Eine Gabe, die besonders hervorstach, hatte
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