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Fruehling

Fruehling

Titel: Fruehling
Autoren: Rainer Maria Rilke
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heute nicht ausreichen, es Ihnen zu beschreiben; eben treibt ein rascher Sturm den Regen aus dem Westen herüber, kurz zuvor war die Sonne da und strahlte in die Ferne hinaus, während alles Nähere schon unter dem großen Wolkenschatten versammelt lag, von einem Ernst überzogen, der die Verfassung der vielen blühenden Kirschbäume noch unschuldiger erscheinen ließ.
    Schweizer Freunde (Dory Von der Mühll, 4. 4. 1920), 63 f.
    W as wir Frühling fühlen, sieht Gott als ein flüchtiges, kleines Lächeln über die Erde gehen. Sie scheint sich an etwas zu erinnern, im Sommer erzählt sie allen davon, bis sie weiser wird in der großen, herbstlichen Schweigsamkeit, mit welcher sie sich Einsamen vertraut. Alle Frühlinge, welche Sie und ich erlebt haben, zusammengenommen, reichen noch nicht aus, eine Sekunde Gottes zu füllen. Der Frühling, den Gott bemerken soll, darf nicht in Bäumen und auf Wiesen bleiben, er muß irgendwie in den Menschen mächtig werden, denn dann geht er, sozusagen, nicht in der Zeit, vielmehr in der Ewigkeit vor sich und in Gegenwart Gottes.
    Werke IV (Geschichten vom Lieben Gott), 346
    U nd in der ganzen Frührenaissance ist etwas von dem Wesen des blonden Jünglings. Eine keusche Kühle ist in ihren Madonnen und die herbe Kraft junger Bäume in ihren Heiligen. Die Linien sind alle wie Ranken, die in feierlicher Schweigsamkeit irgend etwas Heiliges umschließen, und die Gesten der Gestalten sind zögernd, lauschend, einer zitternden Erwartung voll. Sie sind alle von der Sehnsucht geweiht, aber jung in all ihrem Tun, finden sie innerhalb dieser Sehnsucht kleine, leise beglückende Ziele und rasten bei ihnen wie vor den Symbolen einer anderen tiefen Erfüllung. Sie empfinden eine Fülle von Ewigkeiten, und weil sie nirgends bis an die Grenzen gehn, finden sie nirgends Schranken. Sie haben einen stillen und strengen Willen in sich, aber es ist derselbe Wille, der in den weichen Winden wirkt, und so müssen sie niemals Bewegungen wagen, die heftig und hastig sind. Sie sind so ganz eins mit ihrer Zeit, das macht sie schön. Und sie sind weder hart noch bang; denn weder haben sie sich diese Zeit erzwungen, noch sind sie ihre zufälligen Früchte. In einem steten Verkehr, in williger Hingabe und liebevollem Erraten haben sie eines im andern sich gebildet und erzogen und ranken eines am andern hinan zu derselben Seligkeit. Alle ermattenden und entmutenden Kämpfe nach innen fehlen, und die Kräfte vereinen sich versöhnt in einem einzigen, breiten, geduldigen Strebestrom. Das war der Frühling. Es kam noch kein Sommer seither; und wenn auch alle recht haben, die diese Renaissance für unwiederbringlich halten, vielleicht darf unsere Zeit den Sommer beginnen, der zu diesem fernen und festlichen Frühling gehört, und langsam zur Frucht entfalten, was sich damals in der weißen Blüte schon vollendete.
    Tagebücher, 60 f.
    S chon bricht das Glück, verhalten viel zu lang,
höher hervor und überfüllt die Wiese;
der Sommer fühlt schon, der sich streckt, der Riese
im alten Nußbaum seiner Jugend Drang.
    Die leichten Blüten waren bald verstreut,
das ernstre Grün tritt handelnd in die Bäume,
und, rund um sie, wie wölbten sich die Räume,
und wieviel morgen war von heut zu heut.
    Werke II , 163 f.
    Nachwort
    R ainer Maria Rilke nahm den Frühling persönlich wie kaum ein anderer Dichter. Nach dem Winter als Zeit zurückgezogenen Schaffens bedeutete ihm der erste Vogelruf und das erste Sprießen im Garten eine Öffnung des jungen Jahres, vor der er sich selbst nicht verschließen wollte. Diesen Anspruch vor sich, einen anhebenden Frühling »mitmachen« zu wollen, ihn »wie einen Beruf« auf sich zu nehmen, empfand Rilke je nach seiner inneren Lage manchmal als Ermutigung und manchmal geradezu als eine Zumutung. In diesem Fall sehnte er sich danach, in seiner Arbeit »noch zugedeckt zu bleiben wie ein Winterbeet«, er nahm »Anstoß« am Lockruf des Frühlings, von dem er sich nicht »verführen« lassen wollte, und er wünschte, daß dieser sein Zufrühkommen noch »bereuen« möge.
    Für diesen Dichter war »Frühling« mehr als nur Metapher und Projektionsfläche innerer Vorgänge. Rilke war ein getreuer Beobachter jeden Ausdrucks der Jahreszeit – vom Kuckucksruf über einen auf den Rücken gefallenen Marienkäfer bis zu den Stiefmütterchen in einem Frühlingsbeet, die beizeiten zu früh aus der Erde kommen »wie Kinder, die ausgeschlafen haben und durchaus nicht mehr im Bett bleiben wollen«.
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