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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer
Autoren: Kai Meyer
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Sieben Pforten vollständig aufgezehrt würde.
    »Dann ist sie tot?«
    Der Adler senkte das Haupt – eine ganz und gar menschliche Geste. Maus hoffte, dass sie Ja bedeutete.
    Sie ließ den Zylinder fallen und wandte sich zu Erlen um. Als sie sich mit letzter Kraft auf den Rücken des Rentiers zog, hörte sie hinter sich das Flattern der Adlerschwingen. Tamsin stürzte sich mit gespreizten Flügeln auf den Zylinder und riss ihn mit ihren messerscharfen Krallen in Fetzen. Vielleicht, um die Pforten endgültig zu schließen und zu verhindern, dass etwas von dort zurückkehren konnte. Vielleicht auch nur, weil es richtig erschien, keine Spuren zu hinterlassen.
    »Wohin?«, fragte Maus, als Erlen erwartungsvoll unter ihr tänzelte. Der Zauber, der in ihren Pullover eingewoben war, schützte sie vor dem Erfrieren – aber kalt war ihr trotzdem.
    Der Adler erhob sich in die Lüfte und jagte davon. Dem Stand der Sonne nach musste dort Norden liegen. Ein eisiges Reich ohne Herrscherin. Doch Tamsin flog nur eine Schleife und kehrte bald zurück.
    Maus blickte ein letztes Mal auf den Hügel aus Schneetrümmern. Die Fetzen von Pallis’ Zylinder leuchteten wie winzige Flammen. Ein Windstoß trieb sie auseinander.
    Dahinter am Horizont war nichts als Leere. Sie waren weiter von Sankt Petersburg entfernt, als Maus es sich je hätte träumen lassen. Noch vor ein paar Tagen hatte sie nicht gewagt, das Hotel zu verlassen, aber nun verspürte sie nichts als Zuversicht beim Anblick dieser Weite.
    »Irgendwohin, wo es wärmer ist, ja?«, flüsterte sie dem Rentier ins Ohr.
    Erlen hob das Haupt, als nähme er Witterung auf. Der Schneeadler kreischte am Himmel und flog voraus.
    Das Rentier setzte sich in Bewegung, verfiel in Galopp. Maus grub die Hände in sein Fell, genoss das Leuchten der Landschaft, die Unendlichkeit, ihre neu gewonnene Freiheit.
    Der Adler pflügte durch das kristallklare Blau, ritt auf den Winden und krächzte vergnügt.
    In der Ferne stand lächelnd ein alter Mann. Er trug einen Mantel aus Bärenfell. Maus aber sah nur die ungeheuren Weiten Russlands, den maßlosen Horizont. Sie fragte sich, was dahinter lag.
    Väterchen Frost neigte dankbar das Haupt.
    Erlen trug Maus der Welt entgegen.
     
    ENDE

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