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Friesisch Roulette

Friesisch Roulette

Titel: Friesisch Roulette
Autoren: Marvin Entholt
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von wenigen hatte er es geschafft, der Ödnis nahe des Polarkreises zu entrinnen, dem nördlichsten Zipfel Festland der Welt, aber er war eben auch nicht sonderlich geschult in sozialen Dingen. Wie auch, wenn man aus einer Gegend stammte, in der die Population der Rentiere die der Menschen um ein Vielfaches überstieg?
    Ãœber Bekannte war er nach Berlin gelangt und dort auf Nicolaj getroffen, der sofort Sympathie für den scheuen Neuen hegte. Er selbst war ein halbes Jahr zuvor in die große Gemeinschaft der nach der Wende nach Berlin gezogenen Russen gekommen, allerdings genauso wie dann Putin auf die dunkle Seite geraten.
    Sie wurden wory w sakone , »Diebe im Gesetz«, Mitglieder einer streng hierarchisch gegliederten Organisation. Man half sich, aber eine Gefälligkeit wollte durch eine andere ausgeglichen werden, und bald fand sich Nicolaj in der Rolle eines Kuriers und Geldeintreibers wieder. Putin sah er denselben Weg gehen.
    Sie wurden schlecht behandelt, und ihr Stolz sagte ihnen schnell, dass das so nicht weitergehen konnte. Gelernt hatten sie nichts, mit Lachsfischen kamen sie in Berlin nicht weiter, und so sponnen sie einen Plan, der großartig klang, Reichtum versprach und Unabhängigkeit und die triumphale Rückkehr in die Heimat als Lachszüchter im ganz großen Stil. So weit die Pläne.
    Und nun war Putin schon in Phase A von Nicolajs Masterplan verschwunden. Das musste nicht, konnte aber Ungutes heißen, und Nicolaj hoffte inständig, seinen Kumpel bald nach einem kräftigen Schlag auf den Hinterkopf, den er sich mehr als verdient hatte, wieder in die Arme schließen zu können.

8
    Es klang wie der Laut einer missmutigen Kuh. Das Telefon vibrierte auf dem Resopaltisch neben lange nicht geöffneten Akten. Ohne die Sitzposition zu ändern, blickte Hauptkommissar Beckmann von seiner Zeitungslektüre auf. Seine im Außendienst vorgetragene Dynamik hatte er zusammen mit der Segeljacke, die nun über der Stuhllehne baumelte, abgelegt. Beckmann reckte schildkrötenartig den Hals, um einen Blick auf das Display zu erhaschen.
    Das war doch dieser dämliche Dorfpolizist! Gut, dass er dessen Nummer gleich abgespeichert hatte. Er war einfach ein cleverer Hund! So konnte er sich eine Menge unliebsamer Anrufe vom Hals halten, indem er sie einfach nicht beantwortete. Das meiste erledigte sich ohnehin von selbst. Wenn er wusste, wer dran war, konnte er entscheiden, mit wem er sprechen wollte. Eigentlich wollte er mit niemandem wirklich sprechen, wenn er so recht darüber nachdachte.
    Angespannt blickte Beckmann zur Tür, ob seine Kollegin ins Büro kommen würde und er den Anruf schnell würde wegdrücken müssen. Lieber würde er es klingeln lassen. Ein erfahrener Anrufer ahnte wohl, wenn er weggedrückt wurde. Aber der Dorfsheriff würde wahrscheinlich nicht mal das merken.
    Die Klagen der Kuh erstarben, bevor die Tür sich öffnete.
    Was konnte der schon gewollt haben? Wahrscheinlich war eine Milchkanne geklaut oder ein herrenloses Fahrrad gefunden worden, ätzte Beckmann in sich hinein.
    Er vertiefte sich wieder in den Artikel über die unregelmäßige Postzustellung im Bezirk Leer.
    Ohne hinzusehen und nachzudenken, führte er den rechten Zeigefinger zum Blumentopf halb rechts vor sich, um den Feuchtigkeitsgrad der Erde im Topf zu erfühlen. Eine Angewohnheit, mittlerweile schon eine alte.
    Es war ein Geldbaum, Crassula ovata, wie Beckmann gern ungefragt dozierte. Seine verstorbene Mutter hatte ihm die Pflanze als Verheißung auf Beförderung und Wohlstand geschenkt.
    Das war vor vielen Jahren gewesen, und Beckmann pflegte die Pflanze seither gewissenhaft, wenn auch mit schwindender Geduld, und, noch schlimmer, mit ebenso schwindender Zuversicht, dass das Gewächs ihm endlich wenigstens zu Besoldungsstufe A12 verhelfen würde.

9
    Nun standen sie da am Deich der Jümme, mit hängenden Köpfen. Bei ihren Eltern hatte die Freude über die Unversehrtheit der beiden nicht lang angehalten und war beträchtlichem Ärger über deren Unvorsichtigkeit gewichen.
    Malte und Heiner ließen also die Köpfe hängen, weil sie es für angebracht hielten, Demut zu zeigen. In ihrem Innersten frohlockten sie, durch ihren spektakulären Fund im Mittelpunkt zu stehen.
    Um das Grüppchen aus Jungs, Eltern und einem rundlichen Polizeiobermeister drängte sich eine für die dörflichen Verhältnisse
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