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Friesisch Roulette

Friesisch Roulette

Titel: Friesisch Roulette
Autoren: Marvin Entholt
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aber in letzter Zeit beschlichen sie doch
ernste Zweifel. Sie könnte richtig Kohle machen, wenn sie ihre Dienste
annoncierte: Ein verquerer Irrer verfolgt dich? Ein unerwünscht hartnäckiger
Verehrer? Kein Problem, stell ihn mir vor, und du bist ihn für alle Zeiten los.
Die moderne Version eines Rattenfängers. Sie stellte sich vor, wie ihr ein Pulk
von geifernden Verrückten hinterherhechelte. Beinahe hätte sie grinsen müssen.
    Sie schlug die Augen nieder, während sie die Fensterläden
herunterließ, und ging erst dann nach draußen, um das lesende Holzmännchen
hereinzuholen. Sicher war sicher. Er musste jetzt längst davongefahren sein,
aber sie vergewisserte sich nicht, beeilte sich nur, aus dem grellen Licht des
Bewegungsmelders fortzukommen, schob den Riegel vor und genoss das Geräusch des
zweifach klackenden Schlüssels. Jetzt noch den Antiquariatskarren vor die Tür
schieben, und schon fühlte sie sich besser.
    Sie löschte die Deckenlampen bis auf die über der Kasse und machte
sich an den Abschluss. Den Bericht heftete sie mit einem befriedigenden Knallen
zusammen, stellte die Datensicherung ein und ging in die Küche. Mit einer
dampfenden Tasse Tee schlenderte sie gemächlich zurück und betrachtete das über
den Bildschirm fliegende Papier, bis das Programm seine Arbeit beendet hatte,
und fuhr beide Computer herunter.
    Halb acht. Sie ging zurück in die Küche und nahm das Leseexemplar
zur Hand, das sie sich für die Fahrt herausgesucht hatte. Ein Krimi. Schon nach
der ersten Seite merkte sie, dass dies kein Buch für einsame Momente war, ihr
stand nicht der Sinn nach Gruseln, nicht heute, nicht hier. So etwas las sich
besser zu Hause, auf dem Sofa kuschelnd mit ihrem Freund, der sich ein
schwachsinniges Fernsehprogramm antat – der pure Trotz, wenn sie nach
einem langen Tag keine Lust mehr hatte, noch etwas zu unternehmen. Wie heute.
Sie hatte keinen Bock auf die Party, die es tatsächlich gab, aber sie wusste,
heute würde er nicht bei ihr bleiben, sondern allein losziehen und sie eine
Langweilerin schelten. Doch ihr Bedarf an Menschen war für diesen Tag gedeckt.
    Im Flur, wo die Leseexemplare aufbewahrt wurden, stöberte sie bei
den Kinderbüchern, zufrieden, als sie auf das neue über die Kurzhosengang
stieß, das war genau richtig. Sie stopfte es in ihren Rucksack zu den
Klamotten, die sie bei sich trug, weil sie die Nacht zuvor bei ihrer Schwester
verbracht hatte. Einen Moment lang erwog sie, sie anzurufen und zu bitten, sie
abzuholen. Ein gemütlicher Quasselabend statt einer öden Party, die zeitig
genug zu verlassen, um morgen um sechs aufstehen zu können, ihr auch nur
scheele Blicke einbringen würde.
    Viertel vor acht. Sie musste sich entscheiden. Oh was soll’s, gab
sie nach, als hätte sie den Disput nicht mit sich selbst, sondern mit ihrem
Freund ausgefochten, haue ich mich eben morgen Nachmittag noch mal aufs Ohr.
Sie zog, schon im Voraus fröstelnd, ihre Jacke an und die Mütze über die Ohren,
die augenblicklich wieder hochrutschte, und stellte wieder einmal fest, dass
die Dauerwelle ein Fehler gewesen war. Ohrenschützer wären die bessere
Alternative. Ungeduldig stopfte sie das nutzlose Teil in die Jackentasche,
schlang sich den Schal zweimal um den Hals, schnappte sich den Rucksack und
verließ das Haus.
    Ekelhaftes Wetter, sie schauderte. Die dünne Schneeschicht
quietschte unter ihren Füßen, immerhin kein Eis, also konnte es so kalt auch wieder
nicht sein. Trotzdem fror sie erbärmlich. Nicht, dass viel dazugehörte: Sie war
im Frühjahr stets die Letzte, die die Winterklamotten wegpackte,
sicherheitshalber nie völlig außer Reichweite, und im Herbst die Erste, die sie
wieder hervorholte. Ein unbewältigtes Kindheitstrauma, hatte mal jemand
nahegelegt. Dem sie nicht auf den Grund gehen würde. Sie berief sich lieber auf
niedrigen Blutdruck.
    Sie zog das Tor hinter sich zu, und das Licht über der Tür erlosch.
Blind für einen Augenblick, hielt sie auf der untersten Stufe inne und
erschrak, als ein Schatten die Einfahrt hinaufhuschte. Nur eine Katze, erkannte
sie, ein dunkler Schemen, jetzt reglos neben der Mülltonne kauernd. Sie stemmte
das widerspenstige Tor der Einfahrt zu und las Empörung in den glühenden Augen.
»Mach dich heim«, sagte sie laut und wunderte sich nicht, dass sie ein Miau zur
Antwort bekam, bevor das Tier mit
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