Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friesisch Roulette

Friesisch Roulette

Titel: Friesisch Roulette
Autoren: Marvin Entholt
Vom Netzwerk:
auf,
juchzte, als er sie fliegen ließ, und wieder herunter, noch einmal in die Luft,
noch einmal schweben, und dann traf er die richtige Stelle. Er hörte, wie das
Eis krachte, sah, wie ihr Lachen sich erst in Erstaunen und dann in Entsetzen
wandelte, bevor sie unterging. Er legte sich flach aufs Eis, richtig, sie
tauchte noch einmal nach Luft schnappend auf. »Hilfe!«, rief er und hoffte,
dass jemand ihn hören würde, ihn sehen sogar, sehen, wie er ihr die Hand
reichte, um sie rauszuziehen, während er sachte, mehr brauchte es nicht, ihren
Kopf unters Wasser drückte, ein, zwei Sekunden nur, Angelika, kleines
Engelchen.

1
    Sie würde den Zug um 19.02 Uhr nicht mehr erwischen. Es war
schon zehn vor sieben, und Kassenabschluss und Datensicherung waren noch zu
erledigen. Die Fensterläden waren auch noch oben, etwas, das sie in dieser
dunklen Jahreszeit gar nicht mochte, nicht, wenn sie allein war jedenfalls.
Dann wähnte sie neugierige Augen, die sie vom Garten aus beobachteten, und
schon ein vorbeiwirbelndes Blatt konnte sie zusammenfahren lassen, erst recht,
wenn es trocken klopfend gegen die Scheibe schlug und sich anhörte, als würde
jemand mit dem Fingernagel ein geheimes Zeichen trommeln. Blödsinn, sagte sie sich,
aber sie mied jeden Blick, der von den finsteren Spiegeln doch nur abprallte
und kaum mehr als eine Ahnung zuließ.
    Noch fünf Minuten. Sie schaltete im Hauptraum die Strahler aus,
zögerte dann. Es gab Kunden, bei denen sie es vorzog, sich hinter der relativen
Sicherheit des Tresens zu verschanzen, bei denen sie froh um jede Distanz war,
und dieser gehörte ganz klar dazu. Aber es half nichts, wenn sie jetzt nicht
mit den Schlüsseln rasselte, würde der morgen früh noch hier sitzen.
    Sie ging um die Ecke und betrat die Taschenbuch-Abteilung, den Raum,
der ihr normalerweise am liebsten war, gestrichen in einem kräftigen Gelb,
sodass man das Gefühl hatte, hier würde immer die Sonne scheinen. Sie schaltete
auch hier die Strahler aus, und ihre Hände blieben ruhig, kein Beben verriet
ihre Unsicherheit. Gut so, den Gefallen wollte sie ihm nicht tun. Sein Blick
versengte ihren Rücken, den schmalen Streifen Haut, der sichtbar wurde, als sie
sich nach dem Schalter reckte. Sie spürte, wie ihr die verhasste Röte ins Gesicht
kroch, die reine Wut, keinesfalls Verlegenheit, und sie ging mit steifen
Schritten zurück zur Kasse.
    Er rührte sich nicht von der Stelle.
    Â»So«, sagte sie gedehnt und mit aufgesetzter Fröhlichkeit, während
sie innerlich kochte, »wir schließen dann jetzt«, und wünschte, das »wir« wäre
keine Floskel.
    Â»Fein.« Seine ölige Stimme war nah, ohne dass sie ihn kommen gehört
hätte. »Ach übrigens, im Sherry and Port, Sie erinnern sich, wir sprachen
neulich mal davon, spielt heute Abend eine tolle Gruppe. Hätten Sie nicht Lust,
mitzukommen? Ich fahr Sie danach auch nach Hause. Na, wie wär’s?«
    Sie rollte mit den Augen, bevor sie sich zu ihm umdrehte und die
Zähne zu etwas bleckte, das nicht als Lächeln durchging. »Ich bin heute auf
eine Party eingeladen«, entgegnete sie, »mein Freund erwartet mich.«
    Â»Wie schade.« Er bedachte sie mit dem, was er für einen feurigen
Blick hielt. »Dann eben ein anderes Mal.«
    Träum weiter, dachte sie nur und unterdrückte jede Bekundung ihres
Unmuts.
    Er schritt forsch zur Tür und hielt, die Hand schon auf dem Griff,
noch einmal inne. »Viel Spaß auf der Party.« Seine Betonung legte nahe, dass er
ihr die Ausrede nicht abnahm.
    Â»Danke«, erwiderte sie zuckersüß strahlend und hackte blind, aber
geschäftig auf die Tastatur des Computers ein, ließ die Hände erst sinken und
den Seufzer hinaus, als das zweimalige Klingeln anzeigte, dass er endlich,
endlich fort war.
    Ihre Stimmung hellte sich kurzzeitig auf, als ihr einfiel, dass die
Verzögerung wenigstens einen positiven Aspekt hatte. Sie würde in dem Zug um 20.02 Uhr
sicher nicht auf den Bekloppten treffen, der sich sonst immer ihr gegenüber
niederließ und sie die ganze Fahrt über aus seltsamen Augen anstarrte, ihr
sogar noch folgte, wenn sie sich einen anderen Platz suchte. Der war ihr mehr
als unheimlich, und sie konnte ja nicht gut um Hilfe bitten, denn er tat ihr
nichts, glotzte bloß.
    Was hatte sie nur an sich, dass sie solche Typen anzog? Sie glaubte
eigentlich nicht, dass es an ihr lag,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher